Erzbischöfe sagen vor Untersuchungsausschuss aus

Spießrutenlauf in Belgien

Noch eine gute Woche, und Belgiens Kirche hat ihr "annus horribilis", ihr Schreckensjahr, hinter sich. Doch selbst die letzten Tage wurden noch einmal zu einem Spießrutenlauf: Zwei Brüsseler Erzbischöfe, Leonard und sein Amtsvorgänger Kardinal Danneels mussten vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Ihr Lichtblick des Tages: Teile der sogenannten "Operation Kelch", der großen Kirchenrazzia der Staatsanwaltschaft im Juni, wurden letztinstanzlich für illegal erklärt.



Kein Pardon nach Kinderschänder Dutroux

Der Auftritt der beiden höchsten kirchlichen Würdenträger des Landes vor einer Art parlamentarischem Tribunal steht sinnbildlich für die Erniedrigung, die die Kirche in Belgien im Zuge des Missbrauchsskandals hat hinnehmen müssen. Diskrete Ermittlungsmethoden haben die Behörden über das Jahr nicht gewählt - nach dem Versagen im Fall des Kinderschänders Marc Dutroux soll es offenbar kein Pardon mehr geben.



Begonnen hatte das Seuchenjahr im April, als Brügges Bischof Roger Vangheluwe (74) auf Druck der Öffentlichkeit zurücktrat. Er gestand, seinen Neffen über zehn Jahre missbraucht zu haben. Ein Sturm der Entrüstung und eine Fülle immer neuer Enthüllungen brachen los. Mehr als 500 Personen meldeten sich bei der innerkirchlichen Untersuchungskommission, die die Bischöfe unter die Leitung des angesehenen Kinderpsychologen Peter Adriaenssens gestellt hatten.



Tonbandmitschnitt belastet Danneels

Im Fahrwasser des "Falles Vangheluwe" bekam auch das Image von Danneels Flecken. Liberal, weltläufig, umgänglich und vermittelnd, so kannte man das "Gesicht" der belgischen Kirche. Im Verlauf des Sommers tauchte in den Medien ein Tonbandmitschnitt auf, der einen offenbar verunglückten Vermittlungsversuch dokumentierte: Danneels hatte auf Drängen des Brügger Bischofs noch vor dessen Rücktritt versucht, diesen mit seinem Neffen zu versöhnen. Dabei soll der Kardinal dem Neffen vorgeschlagen haben, mit seiner Enthüllung noch bis zur Pensionierung Vangheluwes zu warten. Danneels musste die Vertuschungsvorwürfe kommentieren - und räumte "Fehler" ein.



Ende Juni ein Paukenschlag: Die Staatsanwaltschaft stürmte mit einer Sondereinheit der Polizei den Sitz der Bischofskonferenz in Mechelen und die Büros der Adriaenssens-Kommission in Löwen.



Aufgebohrte Bischofsgräber

Untersuchungsrichter Wim de Troy ließ die versammelten Bischöfe stundenlang festhalten und "auf der Suche nach Beweisen" Bischofsgräber in der Kathedrale aufbohren - "im Stil des Da-Vinci-Codes", so kommentierten Kritiker. Und legal, wie ein Berufungsgericht am Mittwoch letztinstanzlich entschied. Die Ermittler konfiszierten Dokumente und Computer, darunter auch Danneels" privaten Rechner. Auch das legal.



Illegale Razzia in Löwen

In Löwen beschlagnahmten sie im Namen der Staatsanwaltschaft alle Akten mit Zeugenaussagen. Illegal, so urteilten die Richter nun - denn die Zeugen hatten ihre Aussagen unter dem Vorbehalt strikter Vertraulichkeit gemacht. Unter Protest trat die kirchliche Untersuchungskommission damals geschlossen zurück: Die Staatsanwaltschaft habe den Opfern einen Bärendienst erwiesen. In der Tat waren die Akten wegen der Umstände ihres Erwerbs nicht gerichtsfähig - und für die innerkirchliche Aufklärung standen sie auch nicht mehr zur Verfügung.



Einmal losgetreten, rutschte die Lawine auch über den nächsten hochrangigen Kirchenvertreter hinweg: Der neue Brüsseler Erzbischof Leonard fand sich nach mehreren umstrittenen Aussagen einer beispiellosen Welle innerkirchlichen Protests gegenüber. Unverhohlen forderten etwa die Universität Löwen oder Chefredakteure der katholischen Presse seinen Amtsverzicht. Leonards neuer Sprecher nannte seinen Chef einen "Geisterfahrer", der sein Navi nicht benutze, und kündigte fristlos. Auf dem Höhepunkt der Krise drückte ein Gottesdienstbesucher dem Erzbischof eine Sahnetorte ins Gesicht.



Bisher keine Einigung für Opferentschädigung

Nun also die Anhörung vor den Parlamentariern, bei der es auch um materielle Entschädigung der Missbrauchsopfer ging. Leonard erklärte, er sehe die Entscheidung darüber bei der weltlichen Justiz und nicht bei der Kirche angesiedelt. Es sei Aufgabe von Zivilgerichten, einer Institution Zahlungen aufzuerlegen, "deren Verantwortliche nicht persönlich an begangenen Verbrechen beteiligt" gewesen seien. Belangt werden sollten vor allem die Täter selbst sowie deren Vorgesetzte, sofern sie notwendige Schutzmaßnahmen unterlassen hätten. Kurz: Er spielte den Ball zurück ins Feld der Behörden.



Zum Jahresausklang standen Staatsanwaltschaft und Kirchenführung noch einmal am gleichen Tag vor der Anklagebank. Eine Lösung wird es 2010 nicht mehr geben.