Kleidung entsteht meist unter menschenunwürdigen Verhältnissen

Weniger als 30 Euro zum Leben

Der Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch mit Dutzenden Toten lässt wenige Tage vor Weihnachten den Verbraucher im Westen mal wieder nach dem Woher seiner Kleidung fragen. "Wir haben hier eine Verpflichtung", sagt im Interview mit domradio.de Gisela Burckhardt von der Kampagne für Saubere Kleidung, "es ist aber auch die Politik gefragt".

 (DR)

domradio.de: Hätte diese Katastrophe in Bangladesch verhindert werden können?

Burckhardt: Das hätte sie vielleicht, wenn man mehr Vorsorge getroffen hätte. Wir verlangen schon seit Jahren, dass gerade in Bangladesch die Sicherheitsstandards äußerst mangelhaft sind. Es gab schon im Februar einen Brand bei einem H&M-Zulieferer. Es passieren immer wieder solche schlimmen Katastrophen mit vielen Toten, weil einfach die Fabrikgebäude oft älter sind; umgebaute Familienhäuser mit mangelhaften Sicherheitsstandards.



domradio.de: Vergangene Woche haben in der Textilbranche Tausende Arbeiter gestreikt, weil der vereinbarte Mindestlohn nicht bezahlt wurde. Ausnahme oder Regelfall?

Burckhardt: Nach zwei Jahren wurde beschlossen, dass der Mindestlohn von 17 auf 30 Euro erhöht wird - aber auch das ist viel zu niedrig. Die Gewerkschaften fordern mindestens 50 Euro. Und die asiatische Grundlohnkampagne hat berechnet, dass 100 Euro nötig sind, um eine Familie zu ernähren. Zum 1. November haben viele Fabriken noch nicht mal diese 30 Euro Mindestlohn umgesetzt.



domradio.de: Es gibt Gewerkschaften vor Ort?

Burckhardt: Diese Gewerkschaften sind sehr schwach. Und sie haben nicht die Möglichkeit, in die Fabriken zu gehen. Die Unternehmen wehren sich massiv dagegen. Sobald Näherinnen versuchen, sich zu organisieren, werden sie entlassen. Und die wenigen Gewerkschaften, die es gibt, haben nicht den Zugang zu den Fabriken. Die müssen gucken, dass sie die Frauen und Männer spät in der Nacht treffen. Wir fordern schon lange, dass den Gewerkschaften Zugang zu den Fabriken gewährt werden muss.



domradio.de: Auch wir sind schuld an der Situation, weil wir gerne unsere T-Shirts oder Pullover günstig haben wollen. Setzen Sie mit Ihrer Kampagne nur vor Ort an - oder auch hier?

Burckhardt: Unsere Kampagne dient dem Zweck, die Unternehmen unter Druck zu setzen, damit Arbeitsstandards vor Ort umgesetzt werden. Und das geht nur, indem die Käufer hier mehr Bewusstsein entwickeln. Wir versuchen, durch Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, wie die Arbeitsbedingungen sind. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass man nicht alles auf die Verbraucher abschieben kann. Es ist heute fast unmöglich, man kann ja nicht verlangen, dass vor jedem T-Shirt-Einkauf noch im Internet recherchiert wird. Auch die Regierung ist gefragt. Wir brauchen ganz dringend ein Verbraucher-Informationsgesetz, das die Unternehmen zu mehr Transparenz verpflichtet. Es gibt zum Beispiel inzwischen einige wenige Unternehmen, die das versuchen; die nähen in ihre Kleidung ein kleines Label ein mit einem Code, mit dem sie im Internet nachgucken können, wo hergestellt wurde und vor allen Dingen wie. Wir Verbraucher haben schon eine Verpflichtung, es ist aber auch die Politik gefragt.



domradio.de: Wie soll ich mich korrekt als Verbraucher verhalten, wenn ich jetzt zum Beispiel an Weihnachten meiner Mutter eine schöne Bluse schenken möchte. Worauf muss ich achten?

Burckhardt: Mit einem teuren Produkt zahlen Sie häufig nur den Markennamen, bzw. die hohen Kosten, die dieses Unternehmen für die Werbung ausgibt. Und die Näherin profitiert davon leider nicht, sie verdient das gleiche - ob sie nun für H&M produziert oder einen Discounter wie Aldi,  Lidl, KIK oder Esprit. Es ist wichtig nachzugucken, wo man einkauft. Und zu schauen, ob diese Unternehmen eine Strategie verfolgen, dass sie wirklich umwelt- und sozialverträglich produzieren wollen.



Das Gespräch führte Stephanie Gebert.