Böhmische Katholiken haben Seehofers Prag-Besuch vorgearbeitet

Ackern für Versöhnung

Von einer historischen Reise ist die Rede. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg besucht ein bayerischer Ministerpräsident die tschechischen Nachbarn. Das deutsch-tschechische Verhältnis ist so gut wie nie - und daran hat die jahrzehntelang überwiegend im Stillen geleistete Versöhnungsarbeit böhmischer Katholiken einen großen Anteil.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
 (DR)

Beispielhaft dafür steht die Ackermann-Gemeinde, die von sudetendeutschen Vertriebenen gegründet wurde, aber schon seit elf Jahren einen eigenständigen tschechischen Ableger hat. Weil die CSU-geführte Staatsregierung bisher stets Bedingungen für eine solche Visite stellte, die der anderen Seite nicht erfüllbar schienen, konnte zuvor keine Normalität in die Beziehungen einkehren, wie sie zwischen Berlin und Prag, aber auch Sachsen und Tschechen längst üblich sind.



Den deutschen Verband der Ackermann-Gemeinde lenkt seit kurzem der CSU-Europaabgeordnete Martin Kastler. Das Vertreibungsschicksal kennt der 36-Jährige nur noch aus den Erzählungen seiner Mutter. Der Franke studierte in Prag und arbeitete zeitweise in der Präsidentenkanzlei von Vaclav Havel mit. Bei einem Treffen des Jugendverbandes der Ackermann-Gemeinde lernte er seine tschechische Frau kennen. Die Kinder der beiden wachsen zweisprachig auf.



Schon im Januar 1946, als die systematische Zwangsumsiedlung der in Böhmen und Mähren lebenden Deutschen begann, sammelten weitblickende Vertriebene, darunter mehrere Geistliche, in München ihre Landsleute. Sie lehrten sie, ihr Schicksal ohne Rachegefühle anzunehmen, sich gegenseitig zu helfen, nicht in der Opferrolle zu verharren und sich aktiv am gesellschaftlichen Leben in der neuen Heimat zu beteiligen. Namensgeber des Zusammenschlusses war die spätmittelalterliche Dichtung "Der Ackermann aus Böhmen", ein anspruchsvolles Streitgespräch, in dem ein Bauer mit dem Tod hadert, weil der ihm die Frau genommen hat.



Früher Blick über den Tellerrand

Frühzeitig blickten die "Ackermänner" über den Tellerrand. Sie halfen Landsleuten, die in der Tschechoslowakei zurückbleiben mussten, weil sie als Facharbeiter oder Erntehelferinnen gebraucht wurden. In der Zeit des Kommunismus knüpften sie ein diskretes Netz zu verfolgten katholischen Priestern und Laien. Getarnt als Geschenke Einzelner, versorgten die Deutschen ihre Glaubensbrüder mit theologischer Literatur, Medikamenten und Geld.



Lange wussten nicht einmal die Empfänger, dass sie es nicht mit privaten Gönnern, sondern einem schlagkräftigen Sozialwerk mit mehr als 500 Helfern zu tun hatten. Ohne die Ackermann-Gemeinde hätte die tschechische Kirche keinen Anschluss an die theologische Entwicklung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) halten können. Sie lieferte das geistige Futter für geheime Studiengänge und die Fortsetzung der Seelsorge auch dann, wenn Priester Berufsverbot erhielten.



Wo Seehofer erst hin will, ist man schon längst

Der Prager Frühling 1967/1968 gab dem Brückenbau über den Eisernen Vorhang hinweg einen Schub. Kurze Zeit waren offizielle Reisen möglich, dabei kamen die "Ackermänner" an viele neue Adressen. Gleich nach der "Samtenen Revolution" eröffnete der Verband ein offizielles Büro in Prag. Man half bei der Gründung einer Christlichen Akademie in der Hauptstadt, hält bis heute Sprachkurse und Tagungen ab. Bei den Flutkatastrophen von 1997 und 1998 koordinierte das Sozialwerk der Ackermann-Gemeinde in Absprache mit den Bürgermeistern die Hilfe der Bundesregierung.



Die tschechische Ackermann-Gemeinde verfügt über prominente Mitstreiter.  Ihr heutiger Vorsitzende war früher Kultusminister, im Vorstand sitzt der Leiter des tschechischen Pendants zur Gauck-Behörde. Und auch Dominik Duka war dabei, noch bevor er Erzbischof in Prag wurde.



Wenn Horst Seehofer am Sonntag nach Prag reist und auch Duka begegnet, hat er zwar den Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, aber keinen deutschen "Ackermann" dabei. Die Gemeinde trägt es mit Fassung, denn wo Seehofer erst hin will, ist man ja schon längst.