Kurz vor Weihnachten wächst im Ostkongo die Angst vor Gewalt

"Sie fühlen sich von der Welt vergessen"

In den vergangenen beiden Jahren erschütterte zu Weihnachten diese Nachricht die Welt: Rebellen der sogenannten Lord"s Resistance Army
(LRA) überfielen in der Demokratischen Republik Kongo Dörfer, vergewaltigten Frauen, kidnappten Kinder, töteten wahllos Menschen.
In diesen Tagen ist im Osten des Landes die Angst vor einem erneuten Angriff groß. Der Oxfam-Landesleiter im Kongo, Marcel Stoessel, berichtet im Interview von einem Besuch in mehreren Dörfern im Busch.

 (DR)

KNA: Herr Stoessel, im Dezember 2008 kamen bei einem Massaker im Ostkongo 850 Menschen ums Leben, ein Jahr später bei brutalen Angriffen mehr als 300. Wie gehen die Menschen heute mit der Situation um?

Stoessel: Sie haben natürlich Angst. Sie fühlen sich in ihrem Schicksal von der Welt vergessen. Sie fürchten sich, wenn sie ihre Dörfer verlassen und auf die Felder gehen, um dort ihre Arbeit zu verrichten. Dort sind sie noch viel weniger geschützt als auf den Straßen.



KNA: Warum ereigneten sich die Übergriffe gerade zu Weihnachten?

Stoessel: Dazu gibt es nur Spekulationen. Einerseits ist da die Symbolik von Weihnachten. Andererseits ist der Wasserstand der Flüsse zu dieser Jahreszeit recht niedrig. Das heißt, die Rebellen können sich viel einfacher fortbewegen. Dazu kommt, dass jetzt Erntezeit ist. In einem Dorf hat man mir erzählt, dass die Rebellen ganz gezielt nach Nahrungsmitteln suchten. Sie haben Hunger.



KNA: Was können Sie mit Ihrer Organisation tun?

Stoessel: Unsere Aufgabe hier ist, den Menschen Wasser zu bringen. Wir versuchen, ihnen einen Zugang zu ermöglichen, damit sie nicht kilometerweit laufen müssen, um an gutes Trinkwasser zu kommen. Auf dem Weg dorthin sind vor allem Frauen den vielen Rebellengruppen ausgesetzt, die durchs Land ziehen. Sie werden häufig gestoppt, belästigt oder gekidnappt.



KNA: Ist es nicht Aufgabe der UN-Friedensmission, die Menschen im Osten des Landes zu schützen?

Stoessel: Der Ostkongo ist ein riesiges Gebiet mit zahlreichen Konflikten. Es ist schwierig, die Menschen dort rund um die Uhr zu beschützen. Andererseits gibt es etwa 18.000 UN-Soldaten im ganzen Land, allerdings nur 850 im Ostkongo - obwohl hier eigentlich der blutigste Konflikt mit der LRA tobt. Trotzdem muss man auch sagen, dass es eigentlich die Aufgabe der Regierung ist und nicht einer Friedensmission, für die Sicherheit zu sorgen. Man sollte nicht immer nur die UN-Truppen beschimpfen.



KNA: Was wäre Ihrer Meinung nach die richtige Strategie? Noch mehr Militär?

Stoessel: Nein, wir warnen immer vor neuen Militäraktionen. Noch mehr Offensiven könnten Racheakte provozieren. Es wäre sinnvoll, das Kommunikationsnetz in der Region auszubauen. Die Nachricht vom Angriff vergangene Weihnachten verbreitete sich erst Tage später. Viele Dörfer sind nahezu abgeschlossen von der Zivilisation. Sie haben kein Telefon und damit keine Möglichkeit, Hilfe zu rufen.



Die Regierung sollte andere Möglichkeiten nutzen, die LRA zu entwaffnen. Und dabei muss sie auch das Problem der Kindersoldaten angehen. Außerdem müssen die Regierungen in der Region besser zusammenarbeiten. In erster Linie handelt es sich um ein regionales Problem. Die Soldaten sollten die Menschen auf die Felder begleiten, anstatt auf der Straße zu patrouillieren.



KNA: Sie werden jetzt noch zwei Tage auf dem Land unterwegs sein, dann geht es zurück nach Kinshasa. Wie schützen Sie sich?

Stoessel: Wir versuchen, uns hauptsächlich mit Flugzeugen und auf Straßen zu bewegen. Außerdem stehen wir immer im engen Kontakt mit der Bevölkerung und den Behörden. Aber in solch einer Umgebung gibt es natürlich keine absolute Sicherheit.



Interview: Julia Grimminger