Um die Entschädigung früherer Heimkinder bahnt sich ein Streit an

Und die Ost-Opfer?

Über die Entschädigung früherer Heimkinder bahnt sich ein Streit an, wieder geht es um den Umgang mit Opfern der DDR. Der Vertreter der katholischen Bischöfe am Runden Tisch Heimerziehung plädiert gegenüber domradio.de für eine Lösung – jedoch eine neue und eigenständige.

 (DR)

Es sei angemessen, dass man für die Opfer der DDR-Heime auch eine Lösung findet, sagte Johannes Stücker-Brüning von der Deutschen Bischofskonferenz am Mittwoch (25.05.2011) im Interview mit domradio.de. Nur könne sich diese Lösung nicht an dem Entschädigungsmodell orientieren, das der Runde Tisch Heimerziehung Ende 2010 vorgelegt hatte.



Mit dem Runden Tisch sei bei seiner Einrichtung eine "Verantwortungsgemeinschaft" gebildet worden, die die Bundesrepublik im Blick hatte. Die Situation im Osten habe sich erheblich von der im Westen, so Stücker-Brüning vom DBK-Referat für Caritative Fragen. So habe es in der DDR beispielsweise weniger kirchliche Heime gegeben.  



Die Frage der Reihenfolge

Union und FDP sowie das unionsgeführte Bundesland Sachsen fordern eine Einbeziehung der ostdeutschen Opfer - die westdeutschen Bundesländer und die Opposition im Bundestag lehnen das bislang ab. SPD und Grüne fürchten, dass sich die Einrichtung des geplanten 120-Millionen-Euro-Fonds für Heimkinder aus der früheren Bundesrepublik verzögern könnte. Daher schlagen sie vor, zunächst die Empfehlungen des Runden Tisches Heimerziehung umzusetzen und erst danach den Fonds aufzustocken und für weitere Opfergruppen zu öffnen.



Die westdeutschen Bundesländer wollen auf der am Donnerstag beginnenden zweitägigen Jugend- und Familienministerkonferenz in Essen einen Fahrplan für ihre Beteiligung an dem Fonds beschließen, der bis Ende Juli stehen soll. Darin ist die Einbeziehung der DDR-Heimkinder nicht vorgesehen. Außerdem wollen die Länder Eckpunkte für ihre Beteiligung an den Kosten für Anlaufstellen, Forschungs- oder Selbsthilfeprojekte beschließen.



Kommt in Essen, wie erwartet, eine Einigung der West-Länder zustande, wäre eine entscheidende Hürde übersprungen. Denn bisher steht die Finanzierungszusage der Länder noch aus, die den Fonds zu einem Drittel finanzieren sollen. Die Kirchen und der Bund, die ebenfalls jeweils ein Drittel finanzieren, haben ihren Anteil bereits zugesagt. Der Fonds soll 2012 eingerichtet werden. Doch nun kommen neue Forderungen aus den Ost-Ländern.



"Keine Opfer zweiter Klasse"

Der Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Familienministerium, Klaus Schäfer, der die Länder am Runden Tisch Heimerziehung vertreten und den Fonds mit ausgehandelt hatte, sagte dem epd, er sei "überrascht", dass nunmehr ein Zusammenhang mit einer möglichen Entschädigung der DDR-Heimopfer hergestellt werde. Der Runde Tisch habe dies ausgeklammert, weil seine Empfehlungen sich auf die spezifische Situation der Heimkinder in den alten Bundesländern bezögen.



Sachsens Sozialministerin Christine Clauß (CDU) betonte im Gespräch mit dem epd hingegen, es dürfe "keine Opfer zweiter Klasse" geben. Wenn die DDR-Heimkinder nicht ebenfalls jetzt in den Hilfe-Fonds einbezogen würden, müssten sie möglicherweise noch Jahre warten. Es sei allerdings auch klar, dass dafür der Fonds aufgestockt werden müsse. Darüber wolle sie zunächst bei den ostdeutschen Ländern werben, sagte Clauß, nannte aber keine Summen.



Dass die sächsische Sozialministerin nun auf den fahrenden Zug aufspringen will, sorgt für erheblichen Unmut bei denen, die über Jahre auf die Entschädigungslösung für misshandelte Heimkinder in der früheren Bundesrepublik hingearbeitet haben. Sie halten es für riskant, die fragile Vereinbarung zwischen Kirchen, Ländern, Bund und Betroffenen nun mit den historisch und politisch anders gelagerten Fällen aus der DDR zu überfrachten. In der Arbeitsgruppe des Bundestages, die einen interfraktionellen Antrag zur Entschädigung der Heim-Opfer erstellen sollen, gab es darüber bereits Streit.



Warten auf Einigung und Einrichtung des Fonds

   Der Bundestag muss den Bundesanteil am Fonds beschließen. Dafür sollten Regierungskoalitionen und Opposition einen fraktionsübergreifenden Antrag ausarbeiten. Inzwischen gibt es zwei verschiedene Anträge. Union und FDP halten es "für nicht vertretbar, Angebote für Hilfen zugunsten ehemaliger Heimkinder auf Fälle in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1949 bis 1975 zu beschränken." Zeitgleich, so die Koalitionsfraktionen, seien gleichwertige Maßnahmen für Opfer aus der ehemaligen DDR notwendig.



Demgegenüber wollen SPD und Grüne erst im zweiten Anlauf Hilfen für weitere Opfergruppen beschließen, um das jetzige Verfahren nicht zu gefährden. Neben DDR-Heimkindern wollen sie dann außerdem Opfer einbeziehen, die in Behindertenheimen oder der Kinder- und Jugendpsychiatrie misshandelt worden sind.



Die früheren Heimkinder warten dringlich auf eine Einigung und die Einrichtung des Fonds, seitdem der Runde Tisch Heimerziehung unter der Leitung der Grünen-Politikerin Antje Vollmer Ende vergangenen Jahres seine Arbeit abgeschlossen hat. Von den 40ern bis in die 70er Jahre hinein wuchsen in Westdeutschland 700.000 bis 800.000 Kinder und Jugendliche in Heimen auf. Mehr als die Hälfte der Einrichtungen befand sich in kirchlicher Trägerschaft. Der Runde Tisch kam nach zweijähriger Arbeit zu dem Ergebnis, dass den Heimkindern vielfach schweres Unrecht angetan wurde. Dazu zählen demütigende und brutale Behandlung, Gewalt, sexuelle Übergriffe, Freiheitsentzug und Arbeitszwang.