Brot für die Welt bewertet Klimagipfel als Teilerfolg mit Schlupflöchern

Grundmauern für das Weltklima

In einer teilweise dramatischen Nachtsitzung verständigten sich die Teilnehmer der Weltklimakonferenz trotz des massiven Protests von Bolivien auf eine Begrenzung des Weltklimas und um eine Verminderung der Treibhausgase. "Die letzte Nacht hat viele Dinge in Bewegung gebracht", sagte Thomas Hirsch, Klimaexperte von Brot für die Welt im domradio.de-Interview. Er warnt jedoch, für die Reduzierungsbekenntnisse gebe es noch keinen Zeitplan.

 (DR)

domradio.de: Mit Spannung schauen wir jetzt zum Ende der Klimakonferenz noch einmal nach Cancún. Denn gerade jetzt scheint es eine wirkliche Kehrtwende zu geben. Worum geht es genau?

Hirsch: Man muss sagen, die letzte Nacht hat doch viele Dinge in Bewegung gebracht, die Konferenz ist offiziell zu Ende gegangen. Der Staatspräsident von Mexiko hat gesprochen. Wir haben hier einen wichtigen Teilerfolg erzielt. Das heißt die Staatengemeinschaft hat sich darauf verständigt, dass der multilaterale Klimaprozess weitergeht. Man hat sich darauf verständigt, dass die Erreichung des Zwei-Grad-Zieles, also die Begrenzung der Erwärmung auf zwei Grad, nun erstmals im internationalen Klimarecht anerkannt wird. Es wurden Klimaschutzziele definiert und es wurde ein  Finanzierungsfonds geschaffen, um Klimaschutz und -anpassung in den Entwicklungsländern voranzubringen. Es hat also eine Reihe von Fortschritten gegeben, gleichwohl muss man jetzt gleich einschränkend sagen, eine Reihe dieser Maßnahme ist mit keinen festen zeitlichen Vorgaben verbunden. Wir werden also im nächsten Jahr, in den nächsten Jahren sehen, ob der Zug mit dem richtigen Tempo in Richtung Klimaschutz fährt oder ob der Zug im Schneckengang weitermarschiert.



domradio.de: Es sah ja zunächst so aus, als dass Bolivien diesen Vertrag noch stoppen könnte. Jetzt wurde eine Lösung für die Abstimmung gefunden. Was hat es damit auf sich?

Hirsch: In der Klimarahmenkonvention, wie in den meisten UN-Gremien, ist Einstimmigkeit Pflicht. Bolivien hat sich bis zum Schluss einen Kompromiss verweigert. Bolivien ist für wesentlich weitreichendere Ziele eingetreten. Nun hat man sich  darauf verständigt, dass man die Einstimmigkeit außer Kraft setzt, um zu verhindern, dass 198 Staaten gegen einen Staat sich zwar verständigen, diese Verständigung aber keinen internationalen Rechtscharakter bekommen hat. Juristen werden sich sicherlich in den nächsten Wochen intensiv darüber streiten, ob dieser Verfahrensschritt, die Abstimmungsregeln kurzfristig zu ändern, so rechtens ist. In der Sache, glaube ich aber, war es ein notwendiger und politisch auch richtiger Schritt.



domradio.de: Das heißt, steht der Weltklimavertrag denn jetzt?

Hirsch: Nein, es steht noch kein komplettes Vertragswerk. Ich würde es in ein Bild fassen, wir haben jetzt ein solides Fundament für das Haus gegossen und wir haben einen Fahrplan aufgesetzt, wie das Haus weiter gebaut wird. An dem Haus muss aber noch sehr viel gebaut werden. Außer den Grundmauern steht noch nicht sehr viel. In einem Jahr wird man sich im südafrikanischen Durban wiedertreffen. Die Hoffnung ist es, dass dann in Durban der Hausbau abgeschlossen wird. Bedingt durch den Umstand, dass wir das in dem Cancúner Abkommen nicht verbindlich geregelt haben, dass bis Ende des nächsten Jahres wirklich das Haus stehen muss, gibt es hier wiederrum eine Reihe von Schlupflöchern. Und wir haben ja auch bei diesem Cancúner Gipfel gesehen, dass es eine ganze Reihe von Ländern gibt, die sich bis zum Schluss soweit wie möglich verweigert haben: Russland, Japan, die USA. Man wird sehen, ob in diesen Ländern jetzt, wo das Fundament steht, ein Umdenken stattfindet. Dann werden wir in Durban am Ende ein richtiges Klimapaket, einen umfänglichen Vertrag haben. Wenn aber die Blockierer weitermachen, dann ist aber zu befürchten, dass Durban nur ein Trippelschritt wird und dann wird es mit dem Erreichen des Zwei-Grad-Zieles nichts mehr werden.



domradio.de: Wie verbindlich ist denn so ein Vertrag, wenn er dann in Durban wirklich zustande kommen würde?

Hirsch: Er wäre verbindlich, verbindlich allerdings ohne Sanktionsmechanismen. Das heißt, es ist ein Vertrag, dem dann die Zähne fehlen, für den Fall dass Staaten Vertragspflichten versetzen. Gleichwohl auch "softlaw" ist internationales Recht und ich würde darauf bauen, dass wir mit einem solchen Vertrag einen ganz massiven Schritt weiterkommen und das ist auch bitter nötig.