Moraltheologe Schockenhoff zu Kondom-Aussagen des Papstes

"Äußerungen haben sehr großes Gewicht"

Die Nachricht verbreitete sich wie ein mediales Lauffeuer: Papst Benedikt XVI. gibt in Einzelfällen die Benutzung von Kondomen frei. Im Interview ordnet der Freiburger katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff die Äußerungen ein.

 (DR)

KNA: Professor Schockenhoff, wie bewerten Sie die Papst-Aussagen? Bahnt sich hier ein Wandel der gesamten katholischen Sexualmoral an?

Schockenhoff: Man darf eine einzelne Interviewäußerung sicher nicht überbewerten. Aber die Papstworte zeigen eine erstaunliche Realitätsnähe, die man in vielen kirchlichen Lehramtsäußerungen nicht findet. Vielleicht wird dadurch auch deutlich, dass der Papst doch nicht so abgehoben von der Welt lebt, wie manche dachten.



KNA: Es geht um ein Interview, nicht um ein offizielles päpstliches Dokument. Wie verbindlich sind die Aussagen zur Kondombenutzung nun also?

Schockenhoff: Es ist klar: Dieses Interview ist keine offizielle Lehraussage der katholischen Kirche. Es ist eher eine beiläufige Äußerung gewesen, von deren Resonanz der Papst und erst recht andere Stellen in Rom überrascht sein dürften. Allerdings kann man bei der Person des Papstes nicht immer so genau trennen zwischen Kirchenlehre und persönlicher Stellungnahme. Insofern haben die Äußerungen schon ein sehr großes Gewicht. Ich denke, künftige lehramtliche Äußerungen zur Sexualmoral können eigentlich nicht mehr hinter das zurückfallen, was der Papst hier als private Interviewäußerung gesagt hat.



KNA: Der Papst betont, dass ein Kondom "im einen oder anderen Fall" die HIV-Ansteckungsgefahr verringern kann. Heißt das nun also beispielsweise, dass in einer Ehe mit HIV-positivem Partner mit päpstlichem Segen ein Kondom benutzt werden darf?

Schockenhoff: Ganz klar, das hat der Papst gesagt. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Wenn Ehepartner in dieser Situation sind, müssen sie tun, was ihnen ihr Gewissen sagt. Wenn der Papst dies jetzt auch gesagt hat, dann ist das erfreulich und gut und ein Zeichen dafür, dass das Lehramt und der Papst persönlich im Wahrnehmen des sexuellen Lebens der Menschen eine größere Realitätsnähe an den Tag legen.



KNA: Was ist beispielsweise mit Jugendlichen bei ihren ersten sexuellen Erfahrungen?

Schockenhoff: Die Papstworte sind mit Sicherheit kein Freibrief. Aber die Signalwirkung dieser in den Medien transportieren Äußerung ist sehr groß und die lässt sich nicht immer auf den einen konkreten Fall eingrenzen. Der Papst muss also damit leben - aber vielleicht fällt ihm das ja auch gar nicht so schwer - dass die Menschen seine Äußerungen auch auf andere Zusammenhänge übertragen. Und: Er hat ja selten für eine Aussage so viel Lob und Anerkennung gefunden. Vielleicht lässt er sich dadurch zu einem weiteren Nachdenken verleiten.



Interview: Volker Hasenauer