Die Sterbebegleitung ist eine entscheidende Aufgabe der Kirchen

"Christliche Tradition"

Mit Blick auf den Sterbehilfe-Prozess vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof hat Peter Schallenberg die Sterbebegleitung als "entscheidende Aufgabe der Kirchen" und Teil der "christlichen Tradition" bezeichnet. Im Interview mit domradio.de erklärt der Moraltheologe, warum die Kirche eine Beihilfe zur Selbsttötung ablehnt und warum er nicht mit einem Dammbruch rechnet.

 (DR)

Selbst wenn Straßburg dem Urteil stattgeben würde, rechne er nicht damit, dass sich das Recht auch in Deutschland ändert, so der Leiter der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach am Dienstag. "Das wäre genauso und dann entsprechend zu entscheiden, als wenn der EuGH Kliniken zu Abtreibung beispielsweise verpflichten will." Es gebe weiterhin die feste Gewissensüberzeugung von Ärzten.



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Klage nach verweigerter Hilfe zur Selbsttötung

Bei dem vorliegenden Fall (AZ. 497/09) handelt es sich um eine Frau aus Niedersachsen, die nach einem Sturz im Jahr 2002 vom zweiten Halswirbel an gelähmt war. Sie konnte weder selbstständig atmen noch sprechen und musste künstlich ernährt werden. Als sich ihr Zustand nicht besserte, entschloss sie sich zur Selbsttötung und beantragte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein entsprechendes Medikament.



Die Behörde verweigerte ihr das Mittel und berief sich bei ihrer Entscheidung auf das Betäubungsmittelgesetz. Daraufhin klagte die Frau gemeinsam mit ihrem Mann gegen den Beschluss und zog bis vor das Bundesverfassungsgericht. 2005 nahm sich die Frau mit Hilfe des Vereins "Dignitas" in der Schweiz das Leben. Der Ehemann führt die Beschwerde fort.



Patientenschützer kritisieren Klage

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung kritisierte die Klage. Sie leiste Suizidorganisationen Vorschub, "ihr grausames Angebot öffentlichkeitswirksam zu vermarkten", sagte der Vorstand der Organisation, Eugen Brysch. Für die schwer kranke Frau hätte es Alternativen gegeben. Zudem warnte Brysch davor, tödliche Medikamente auch in Deutschland frei verfügbar zu machen. Die Gefahr des Missbrauchs sei zu groß.



In Deutschland ist aktive Sterbehilfe verboten. Indirekte und passive Sterbehilfe sind erlaubt. Auch Beihilfe zum Suizid ist nicht strafbar, solange der Patient das tödliche Medikament selbst und aus freiem Willen einnimmt. Die gewerbliche Vermittlung von Suizid-Hilfe, wie sie der Verein "Dignitas" leistet, soll nach Plänen der Regierungskoalition unter Strafe gestellt werden. Ärzte bewegen sich beim assistierten Suizid in einer rechtlichen Grauzone. Bislang gilt ärztliche Beihilfe zum Suizid als unvereinbar mit dem ärztlichen Berufsverständnis.



Im Juni hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil den Abbruch lebensverlängernder medizinischer Maßnahmen als passive Sterbehilfe für zulässig erklärt. Die Behandlung von unheilbar erkrankten und selbst nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten dürfe jederzeit abgebrochen werden, wenn der Patient dies zuvor so geäußert oder veranlasst habe, entschieden die Richter in Leipzig.



Diese Möglichkeit hätte auch die gelähmte Frau gehabt, deren Fall in Straßburg verhandelt wird. Hätte sie die Beatmung und die Magensonde abgelehnt, hätten die Ärzte sie nicht gegen ihren Willen weiterbehandeln dürfen. Dies gilt auch, wenn etwa ein bewusstloser Patient diesen Wunsch in einer Patientenverfügung formuliert hat.