Die Begräbniskultur hat sich stark verändert

Vom Trauerzug zur Privatfeier

November ist der Monat der Erinnerung an die Verstorbenen: nach Allerheiligen, Allerseelen und dem Volkstrauertag am Sonntag mit Totensonntag, dem evangelischen Gedenktag. Doch immer weniger Menschen trauern traditionell. Die Zeit der liebevollen Grabpflege durch Angehörige scheint vorbei zu sein.

Autor/in:
Sabine Damaschke
 (DR)

Wie viele Beerdigungen er im Laufe seines über 30-jährigen Berufslebens gehalten hat, weiß der Wuppertaler Pfarrer Manfred Alberti nicht mehr. Aber er erinnert sich noch gut an Bestattungen mit langen Trauerzügen, Aussegnungsfeiern, Grabreden der Chefs sowie Vereinskollegen des Verstorbenen und die sogenannten "Rauen" im Wirtshaus, dem feucht-fröhlichen Leichenschmaus nach der Trauerfeier.



"Früher war Sterben und Tod eine öffentliche Angelegenheit, die nach festen Regeln ablief", erzählt er. Damals habe meist lange vor dem Tod festgestanden, wo und wie der Verstorbene beerdigt wird. Jeder Nachbar habe dabei seine klare Aufgabe gehabt, und die Familie habe selbst nur wenig organisieren müssen. "In dieser Phase der schmerzhaften Umorientierung mussten die Hinterbliebenen keinerlei Entscheidungen treffen", sagt der Pfarrer. Heute sei die Bestattung dagegen eine "alleinige Angelegenheit der Familie", für die sie sich professionelle Hilfe vom Bestatter hole.



Möglichst schnell wieder an den Arbeitsplatz statt Trauer

"Der Tod ist Störenfried in einer Gesellschaft, die auf die Optimierung aller Betriebsabläufe größten Wert legt", kritisiert Alberti. Immer mehr Bestatter sorgten - gegen entsprechend gute Entlohnung - mit farbigen Särgen und repräsentativen Urnen, freien Trauerrednern und teuren Todesanzeigen für eine "unvergessliche Beerdigung". Statt einer mehrtägigen Auszeit im Betrieb müssten die Angehörigen möglichst schnell wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und ihre Gefühle von Trauer und Schmerz verbergen. Schwarze Kleidung werde nur noch am Tag der Beerdigung getragen. "Trauernde lassen sich heute nicht mehr erkennen."



Der Pfarrer bedauert diese Entwicklung, denn die Traditionsregeln und Riten früherer Zeiten hätten den Menschen in der emotional aufwühlenden Phase des Sterbens und Todes Halt gegeben und sie vor "Fehlentscheidungen" bewahrt. Dazu zählen in seinen Augen oft anonyme Bestattungen. Viele ältere Menschen entschieden sich nur darum dafür, so beobachtet der Theologe, "weil sie ihren Kindern die Grabpflege nicht zumuten wollen". Dabei gebe es heute mit gekennzeichneten Rasenurnengräbern oder Kolumbarien durchaus Alternativen zur anonymen Bestattung.



Tatsächlich scheint die Zeit der liebevollen Grabpflege durch Angehörige in Deutschland vorbei zu sein. Gut die Hälfte der rund 840.000 Beerdigungen sind nach Angaben des Bundesverbands deutscher Bestatter Feuerbestattungen. Auf deutschen Friedhöfen entstehen zunehmend Kolumbarien, Rasen- oder Baumgräber.



Ganze Flächen, die einmal für Erdbestattungen angelegt wurden, liegen brach. Sie kosten die Friedhöfe jährlich bis zu 500 Millionen Euro, wie die Verbraucherinitiative für Bestattungskultur "Aeternitas" in Königswinter betont. "Während die Bestatter mit dem Trend zu individuellen und kreativen Beerdigungsformen gute Geschäfte machen, leiden die Friedhöfe", sagt Sprecher Alexander Helbach.



"Gräber können Zeichen der Heimat sein"

Offenbar können immer mehr Deutsche mit den "Orten ewiger Ruhe" nicht viel anfangen. Repräsentative Gräber, die früher den Status einer Familie anzeigten, spielten heute kaum noch eine Rolle, beobachtet Helbach. Er verweist auf eine Umfrage der Verbraucherinitiative vom März 2010. Danach würden fast zwei Drittel der Deutschen die Urnen ihrer Angehörigen lieber im eigenen Garten oder Haus aufstellen, als sie auf Friedhöfen zu bestatten. Jeder dritte Deutsche besuche ohnehin seltener als einmal im Jahr oder nie einen Friedhof.



Nach Ansicht Helbachs sollte der deutsche Gesetzgeber den Friedhofszwang aufheben. In vielen europäischen Ländern sei dies längst üblich. "Die Erfahrungen zeigen doch, dass mit den Urnen kein Schindluder betrieben wird, wie Befürworter des Friedhofszwangs es befürchten."



Pfarrer Alberti dagegen warnt vor der Urne im Garten. Das Grab auf dem Friedhof erlaube ein gesundes Abschiednehmen, findet der Theologe. Er weiß, wovon er spricht: Seit zwanzig Jahren ist er Vorsitzender des Synodalen Arbeitskreises für Friedhofsfragen im Kirchenkreis Wuppertal. "Das Grab im Garten hat man lebenslang immer vor Augen, selbst wenn die schönfärbende Erinnerung längst gewichen und ein neuer Lebensgefährte da ist."



Außerdem, sagt Alberti, sind Friedhöfe auch Kultur- und Traditionsorte. "Die Gräber der Vorfahren können in einer Zeit großer Mobilität Zeichen der Heimat sein."