Glocken der Lohrer Auferstehungskirche schweigen nach Anwohnerprotest

Streit ums Geläut

Es ist auf die Minute genau Mitternacht im unterfränkischen Lohr. Selbst um diese Uhrzeit ist es am Fuß des Valentinusberges nicht still. Lastwagen und Autos brausen auf den beiden nahen Bundesstraße 26 und 276 vorbei. Nur die Glocken der Auferstehungskirche schweigen schon seit Mitte September zwischen 22 und sechs Uhr.

 (DR)

Einige Anwohner hatten sich mit einer Unterschriftenliste über das nächtliche Geläut beschwert. Kein Einzelfall. Immer öfter müssen Glocken nachts schweigen. Der Lohrer Dekan Michael Wehrwein macht keinen Hehl daraus, dass er die Glocken am liebsten auch wieder nachts läuten lassen würde. "Sie gehören zu unserer christlich-abendländischen Kultur", sagt er. Der Kirchenvorstand der Gemeinde jedoch hat "um des Nachbarschaftsfriedens willen" beschlossen, die Glocken vorerst nachts abzuschalten.



Denn die Stimmung schien zunehmend vergiftet, vor allem durch einen Schlagabtausch beider Seiten per Leserbrief in der Lokalpresse. Einer der Initiatoren der Unterschriften gegen das nächtliche Läuten ist Anwohner Harald Valder. Schon lange gebe es "ein Murren gegen die Glocken", nun sei es eben "mal hochgekocht". Das Läuten nachts sei eine "ganz normale Ruhestörung", die man als Anwohner nicht hinnehmen müsse, findet er.



Täglich Briefe, E-Mails und Anrufe

Doch das sehen längst nicht alle so. Seit die Turmglocken schweigen, treffen täglich Briefe, E-Mails und Anrufe im Dekanat und Pfarrbüro ein, in denen Anwohner fordern, die Glocken wieder anzuschalten - auch nachts. Von den "kraftvollen Stundenschlägen", die einem "schon so manche schlaflose Nacht in Viertelstunden geteilt" habe, ist da die Rede, von einem "vertrauten Klang", der nun fehle. "Die Alteingesessenen wollen die Glocken, viele Zugezogene nicht", sagt Wehrwein.



Auch eine Unterschriftenliste gegen das Schweigen der Glocken ist inzwischen im Umlauf. Aufgesetzt hat sie Christoph Chodura, der knapp

100 Meter von der Auferstehungskirche entfernt lebt. "Ich bin Atheist", stellt er klar, aber "Kirchenglocken gehören nun einmal zu unserer Tradition und Kultur", sagt er. Die Wut mancher Anwohner findet Chodura sonderbar: "Wenn man in die Nähe eine Kirche zieht, sollte man damit rechnen, dass da Glocken zu hören sind!"



Eine vertrackte Situation

Auch aus rechtlicher Sicht, wie der Würzburger Anwalt Johannes Mierau erläutert, der die bayerische Landeskirche bereits in Geläut-Streitfällen gegen klagende Anwohner vertreten hat. "Das sind immer Einzelfallentscheidungen", sagt Mierau, eine einheitliche Rechtssprechung gebe es nicht. Dem Zeitläuten würden die Richter in der Regel keine liturgische Bedeutung zumessen, dem Läuten zum, während und nach dem Gottesdienst hingegen schon. Denn Letzteres ist per Grundgesetz geschützt.



Wie laut Glocken sein und wann sie schlagen dürfen, ist im Bundesimmissionschutzgesetz, genauer: in der Technischen Anleitung (TA) zum Schutz gegen Lärm, geregelt. Die jedoch ist derart kompliziert, dass sie kaum ein Kirchenvorstand oder Pfarrer versteht - geschweige denn, dass sie überhaupt von ihr wissen. Darum gibt es Leute wie Kurt Kramer. Er ist Glockensachverständiger und Mitglied im Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen, einem gemeinsamen Gremium der evangelischen und katholischen Kirche.



Minderheit mit Macht

"Grundsätzlich dürfen Glocken 65 Dezibel laut schlagen", sagt Kramer. 65 Dezibel - das kann ein sehr lauter Fernseher oder eine eher stille Werkshallenatmosphäre sein. Tagsüber seien es sogar 85 Dezibel, das entspricht in etwa dem Geräuschpegel, den ein lautes Motorrad verursacht. Gemessen werden diese Lautstärken der Kirchenglocken nicht direkt am Geläut im Turm, "sondern immer bei dem nächstgelegenen Nachbarn - nicht dem Beschwerdeführer", erläutert der Karlsruher Experte.



Werden die Grenzwerte eingehalten, sind Klagen ziemlich sinnlos, so Kramer. Das gelte auch für das nächtliche Stundengeläut. Es gab jedoch auch schon gegenteilige Gerichtsentscheidungen. "Im Sinne des Nachbarschaftsfriedens ist Rücksicht das Wichtigste", sagt Kramer.



Aber das könne ja nicht heißen, alle Glocken nachts schweigen zu lassen, meint der Sachverständige. Heute sei man "zu leicht dabei, ganze Epochen der christlich-abendländischen Kultur mit einem Handstreich zu beenden", weil sich eine Minderheit über Glockenlärm beschwere.