Böhmer strebt Nationalen Aktionsplan für Integration an

«Überprüfbarer und verbindlicher»

Die Debatte um die vermeintlich gescheiterte Integration bestimmt die Schlagzeilen nun schon seit vielen Wochen. Am Mittwoch findet der vierte Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt statt. Im Interview stellt die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, die Ziele des Treffens vor und erläutert ihre Pläne zur Einrichtung eines Ministeriums für Integration.

 (DR)

KNA: Frau Böhmer, worum geht es beim vierten Treffen im Kanzleramt?

Böhmer: Inhaltliche Schwerpunkte sind die Bereiche Sprache und Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt sowie Integration in den Kommunen. Wir wollen den Nationalen Integrationsplan fortschreiben und um zwei Themen ergänzen, und zwar um den Bereich Gesundheit und Pflege sowie um das Thema Migranten im öffentlichen Dienst. Wir wollen dort mehr Migranten einsetzen, etwa als Polizisten oder Lehrer. Der Bereich Gesundheit und Pflege ist aktuell, da die Migranten schließlich auch älter werden, zugleich muss die Prävention bei Kindern verbessert werden. Außerdem soll die Frage der Gleichberechtigung der Frau künftig als ein Querschnittsthema behandelt werden.



KNA: Der Gipfel soll auch Auftakt für einen "Nationalen Aktionsplan" sein. Was ist darunter zu verstehen?

Böhmer: Darin wollen wir präzise Integrationsziele mit den dafür notwendigen Initiativen formulieren und jeweils ein Zeitfenster festschreiben, um die Erfolge zu überprüfen. Dabei werden wir uns an den im Nationalen Integrationsplan vereinbarten Zielen orientieren. So haben sich beispielsweise die Länder verpflichtet, bis 2012 die notwendigen Fortbildungsmaßnahmen anzubieten, die es Lehrkräften ermöglicht, ihren Sprachbildungsauftrag im Unterricht wahrzunehmen.

Integration wird überprüfbarer und verbindlicher.



KNA: Thilo Sarrazin hat mit seinem provokativen Buch "Deutschland schafft sich ab" einen Bestseller gelandet. Haben die Parteien die Sorgen in der Bevölkerung zu lange unterschätzt?

Böhmer: Das, worüber wir schon lange sprechen, wird nun für die breite Bevölkerung nach und nach erst wirklich greifbar. Das verunsichert viele. Bundesweit kommen bereits 20 Prozent aller Einwohner aus Zuwandererfamilien. Diese Entwicklung wird sich weiter verstärken. So haben in Frankfurt bei den Kindern unter sechs Jahren bereits über 67 Prozent einen Migrationshintergrund. Damit stellen sich die Fragen nach dem Zusammenhalt der Gesellschaft, nach Werten und Regeln nunmehr ganz konkret. Darüber brauchen wir eine breite Diskussion.



KNA: Wie bewerten Sie die jüngste Debatte?

Böhmer: Wir haben mehr Ehrlichkeit in der Diskussion. Zugleich kritisiere ich Pauschalisierungen. Wir sprechen oft nicht von Türken oder Iranern, sondern pauschal von Muslimen. Und selbst da wird oft nicht hinreichend unterschieden. Um den Menschen gerecht zu werden und die Probleme zu lösen, bringen uns Allgemeinplätze nicht weiter.



KNA: Sehen Sie dennoch Gruppen, die besondere Integrationsschwierigkeiten haben oder gar renitent sind?

Böhmer: In sozialen Brennpunkten stoßen wir verstärkt auf Probleme. Das liegt weniger an der Herkunft, sondern vielmehr an der schwierigen sozialen Situation. Wir dürfen auch nicht die Augen davor verschließen, wenn Spannungen an Schulen auftreten, sich einheimische Schüler nicht mehr auf den Schulhof trauen oder Lehrer bedrängt werden.



KNA: Um was zu tun?

Böhmer: Schulen mit hohem Migrantenanteil brauchen mehr Unterstützung durch mehr Lehrer und Sozialarbeiter und auch durch Ganztagsangebote. Wir brauchen eine enge Vernetzung zwischen Schule und Jugendarbeit. Wesentlich ist aber der Bezug zu den Elternhäusern. Wenn sie sehr traditionell sind und sich gegenüber der Gesellschaft abschotten, prägt das auch die Kinder. Deshalb muss man hier ansetzen. Hier müssen Integrationslotsen oder Stadtteilmütter zum Einsatz kommen. Ärgerlich stimmen mich die Berliner Verhältnisse. Der Hilferuf von Schulleitern aus Berlin-Mitte und aktuell der Berliner GEW haben deutlich gemacht, wie sehr die Probleme dort unter den Nägeln brennen und wie man sich oft allein gelassen fühlt.



KNA: Multikulti ist für Sie gescheitert. Was ist Maßstab des Zusammenlebens?

Böhmer: Wer hier auf Dauer leben will, dem muss klar sein, dass er unsere Regeln und Werte zu respektieren hat. Die Grundrechte stehen nicht nur auf dem Papier. Sie müssen gelebt werden. Das gilt für die Achtung der Menschenwürde, für die Freiheitsrechte wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit sowie für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Durch das Gesetz zur Schaffung eines eigenen Straftatbestands für Zwangsverheiratungen soll hier eine klare Grenze markiert werden.



KNA: Bei der Einbürgerung gehen die Zahlen zurück. Verliert Deutschland an Attraktivität als neue Heimat?

Böhmer: Für die Entwicklung gibt es viele Erklärungen. Aber wir müssen sicherlich Anreize schaffen. Dazu gehört auch die bereits vorhandene Möglichkeit, eine frühere Einbürgerung in die Wege zu leiten, wenn besondere Integrationsleistungen vorliegen. Leider machen die Behörden von dieser Regelung zu wenig Gebrauch. Gute Integration muss honoriert werden.



KNA: Sie wollen eine qualifizierte Zuwanderung. Was wären denn die Auswahlkriterien etwa auch im Vergleich zum kanadischen Punktesystem?

Böhmer: Natürlich die schulischen und beruflichen Qualifikationen. In Kanada werden auch Sprachkenntnisse oder Alter mit bewertet. Allerdings ist das kanadische Punktesystem nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar. Aber der Grundansatz, gesteuerte Zuwanderung stärker an der Qualifikation auszurichten, sollte auch für uns eine entscheidende Orientierung darstellen. Wir müssen die Frage stellen, welche Zuwanderung braucht unser Land. Zugleich gilt es, die Potenziale in unserem Land zu heben, durch bessere Ausbildung gerade der jungen Migranten und die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen.



KNA: Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen in den vergangenen fünf Jahren im Amt?

Böhmer: Für mich war der entscheidende Ansatzpunkt, nicht mehr über-, sondern mit den Migranten zu reden. Diese Haltung hat auch die gesellschaftliche Diskussion stark geprägt. Die entscheidende Grundlage einer nachhaltigen Integrationspolitik ist Vertrauen. Beispielhaft sagte ein türkischer Gastarbeiter, als er seinerzeit nach Deutschland kam, um unter Tage zu arbeiten, habe man ihn nicht

gefragt: "Woher kommst du", sondern: "Kann ich mich auf dich verlassen". Vertrauen ist das entscheidende Kriterium für ein gutes Miteinander.



KNA: Sie streben künftig ein eigenes Ministerium für Integration an. Weshalb?

Böhmer: Inzwischen gibt es in allen Bundesländern eigene Ministerien und auf Länderebene eine Integrationsministerkonferenz. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Amt auf Bundesebene bereits aufgewertet. Die Integrationsbeauftragte sitzt jetzt auch mit am Kabinettstisch. Eine Weiterentwicklung zum eigenen Ministerium ist konsequent.



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