Vor 100 Jahren starb der Gründer des Roten Kreuzes

Ein Leben für die Menschlichkeit

Verarmt und beruflich gescheitert starb vor 100 Jahren der Schweizer Henri Dunant. Ohne ihn gäbe es weder das Rote Kreuz noch das humanitäre Völkerrecht. Bislang unbekannt jedoch die Rolle eines Mannes an seiner Seite. Erst waren Dunant und Gustave Moynier Freunde, später Rivalen.

Autor/in:
Katharina Ebel und Christoph Renzikowski
 (DR)

Dies ist die Geschichte der großen Idee eines gescheiterten Geschäftsmanns und seines Rivalen.  Ohne ihn gäbe es das Rote Kreuz nicht und auch nicht das humanitäre Völkerrecht. Aber ohne die Unterstützung seines bis heute weitgehend unbekannten Freundes und späteren Widersachers Gustave Moynier wäre aus Dunants Idealismus vielleicht nie Realität geworden.



Auf dem Schlachtfeld

Solferino, 24. Juni 1859: Dunant blickt auf das Schlachtfeld, das österreichische und italienische Truppen hinterlassen haben: 40.000 Verwundete, Sterbende und Tote. Eigentlich ist der Schweizer auf dem Weg zu Napoleon III. Doch er zögert nicht lange: Seinen Kutscher schickt er in die nächste Stadt, um Nahrungsmittel, Medizin und Verbandsmaterial zu besorgen. Dann überzeugt er die Frauen von Castiglione delle Stiviere, sich um die Verwundeten zu kümmern.



Nach seiner Rückkehr in Genf schreibt Dunant unter dem Eindruck seines Schlüsselerlebnisses das Buch "Eine Erinnerung an Solferino".

Darin schlägt er vor, "irgendeine internationale, rechtsverbindliche und allgemein hochgehaltene Übereinkunft zu treffen, die, wenn sie erst festgelegt und unterzeichnet ist, als Grundlage dienen könnte zur Gründung von Hilfsgesellschaften für Verwundete". Die Idee des Roten Kreuzes ist geboren.



Der Rechtsanwalt an Dunants Seite

Ihm zur Seite steht Gustave Moynier, ein Rechtsanwalt aus seiner Heimatstadt. Moynier wird 36 Jahre als Präsident an der Spitze der Rotkreuz-Bewegung stehen, doch heute erinnert sich kaum einer an ihn. Stets gilt der charismatische Calvinist Dunant als Initiator der ältesten weltweiten Hilfsorganisation.



Dunant verteilt sein Buch in ganz Europa an Politiker, Adelige und einflussreiche Persönlichkeiten, um sie für seine Mission zu gewinnen. Die Publikation macht ihn schnell über die Schweiz hinaus bekannt. An seiner Seite stets Moynier. Der Jurist bemüht sich, die passenden Strukturen für Dunants Ideen zu schaffen. Der Idealist und der Pragmatiker sind sich nicht immer einig.





Internationale Hilfe

Bei den Wohltätigkeitsorganisationen findet Dunants Vorschlag, eine zivile Verwundetenfürsorge einzurichten, Anklang. Doch niemand traut sich zu, so etwas international durchzusetzen. Es ist Moynier, der nicht aufgibt und Überzeugungsarbeit leistet, bis schließlich am 9.

Februar 1863 das "Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege" gegründet wird.



Der Jurist geht sogar noch weiter. Im Namen des Komitees lädt er Vertreter der europäischen Staaten zu einem internationalen Kongress nach Genf ein. Moynier will erreichen, dass endlich nationale Hilfsgesellschaften entstehen und Regeln zum Schutz von Helfern und Verwundeten im Krieg aufgestellt werden. Nur ein halbes Jahr später einigen sich zwölf Staaten auf die erste Genfer Konvention und die Gründung freiwilliger Hilfsgesellschaften.



Weiße Armbinde mit rotem Kreuz

Zehn Resolutionen werden angenommen über Organisation, Rechte und Pflichten der freiwilligen Helfer auf dem Schlachtfeld. Das

Wichtigste: Den Sanitätern wird der neutrale Schutz durch die kriegführenden Parteien garantiert. In den Ländern entstehen nationale Komitees, die den Sanitätsdienst der Heere unterstützen. In Friedenszeiten sammeln sie Hilfsmaterial und bilden Krankenpfleger aus. Als Erkennungszeichen für die Helfer dient die weiße Armbinde mit dem roten Kreuz.



Held der Humanität ist pleite

Dunants Idee macht Geschichte. Geschäftlich läuft es für ihn weniger gut. Seine Finanzgeschäfte in Nordafrika geraten ins Wanken, er kann sich wegen seines Rot-Kreuz-Engagements nicht mehr so intensiv wie früher darum kümmern. Schulden häufen sich, am Ende steht der Konkurs und ein Urteil wegen betrügerischer Machenschaften. Der Held der Humanität ist pleite. Aus Scham verlässt Dunant 1867 seine Heimatstadt.



Doch es kommt noch schlimmer. Fünf Jahre später schließt ihn das Internationale Rote Kreuz aus - offenbar auch wegen des gesellschaftlichen Drucks, der auf Dunant infolge seiner finanziellen Affären lastet. Moynier ist an der Personalie ebenfalls nicht unbeteiligt. Ende des 19. Jahrhunderts ist Dunant praktisch vergessen. Späte Anerkennung wird ihm dann 1901 mit dem erstmals verliehenen Friedensnobelpreis zuteil. Die Versöhnung mit Moynier bleibt allerdings bis zum Ende aus. 1910 sterben sie beide innerhalb eines Vierteljahres. Moynier am 21. August 1910 und am 30. Oktober vor 100 Jahren Henri Dunant, verarmt und zurückgezogen in Heiden am Bodensee.