Kirche kritisiert Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke

"Kernenergie ist gemeinwohlschädlich"

Die Kosten-Nutzung-Bilanz der Kernenergie ist höchst umstritten. Die Endlagerung von Atommüll in Deutschland ist immer noch nicht geklärt. Dennoch hat die Bundesregierung im Bundestag die Laufzeiten für die Atomkraftwerke um bis zu 14 Jahre verlängert. Im Interview mit domradio.de erläutert Professor Dr. Jürgen Manemann die ablehnende Haltung der Kirche. Er hat für das Bistum Hildesheim ein Grundlagenpapier zur Atomenergie erstellt.

 (DR)

domradio.de: Die Regierung bezeichnet die Kernenergie als sauber und emissionsfrei - außerdem als absolut billig. Geben Sie der Partei nicht Recht?

Prof. Manemann: Nein, man muss sagen, dass diese Aussagen nicht stimmen. Die Kernenergie und der Atomstrom sind alles andere als billig. Sie müssen ja auch die ganzen Subventionierungskosten hinzurechnen. Nach neueren Untersuchungen belaufen sich diese in den letzten Jahrzehnten auf etwa 165 Milliarden Euro. Rechnen sie das hinzu, dann ist es nicht billig. Sauber ist die Kernenergie natürlich im Vergleich mit Kohlekraftwerken, weil sie in der Tat emissionsärmer ist und weitaus Co2-ärmer ist. Sie ist aber auch nicht Co2-neutral. Denn es muss auch die Co2-Emission hinzugerechnet werden, die beim Bau und beim Rückbau von Kernkraftwerken aufgewandt wird und die vor allen Dingen für den Abbau von Uran entsteht.



domradio.de: Würden Sie soweit gehen und sagen, dass Kernenergie anti-christlich ist?

Manemann: Das wäre Schwarz-weiß-Malerei mit guten Menschen auf der einen und bösen auf der anderen Seite. Daher sollte man nicht mit dem Anti-Christen argumentieren. Wir haben in unserer Stellungnahme im Auftrag des Generalvikars des Bistums Hildesheim auch nicht mit dem Begriff der Schöpfung operiert, sondern mit dem Begriff des Gemeinwohls. Das ist ja ein zentrales Prinzip der katholischen Soziallehre. Auf dieser Basis kommt man zu dem Ergebnis, dass die Kernenergie gemeinwohlschädlich ist. Wenn wir vom Gemeinwohl sprechen, dann müssen wir die Güter benennen, die wir bedürfen, um das Gemeinwohl zu sichern. Dazu gehören zunächst einmal die Güter, die unser physisches Überleben sichern: Nahrungsmittel, sauberes Trinkwasser, Behausung, Kleider, etc. Dann die Güter, die wir brauchen, um uns am kulturellen Leben zu beteiligen, wir sind ja Kulturwesen. Und zu diesen grundlegenden Gütern gehören dem Leben zuträgliche Umweltbedingungen. Die sind ein Gemeinwohlgut. Und die sind durch die Kernenergie massiv bedroht.



domradio.de: Befürworter der Kernenergie sagen, dass Atomkraftwerke die einzige ernsthafte Möglichkeit darstellen, den Energiehunger zu stillen. Ohne AKW müsste der Wohlstand zurückgefahren werden, Arbeitsplätze gingen verloren. Ist das der Wille der Kirche?

Manemann: Das sagen die Energiekonzerne! Wenn sie sich aber an die Gutachten halten, die im Auftrag der Bundesregierung verfasst worden sind, z.B. das Sachverständigengutachten, ergibt sich ein anderes Bild. Darin wird bestritten, dass die Kernenergie Arbeitsplätze sichert. Ganz im Gegenteil: Die Laufzeitverlängerung bedroht Arbeitsplätze, denn die zukünftigen Arbeitsplätze liegen laut dieses Gutachtens im Feld der regenerativen Energietechniken. Und von einer Stromlücke, von der die Konzerne immer wieder sprechen, kann keine Rede sein. Das sagen diverse Gutachten. Das jüngste Gutachten mit den Energieszenarien, das im Auftrag des Bundesumweltministeriums erstellt worden ist, spricht nicht von einer Stromlücke. Es kann hier und da zu Engpässen kommen, die aber durch Importe wieder ausgeglichen werden können. Also, die Gutachten zeigen: Das Argument bez. der Arbeitsplätze ist falsch, das Argument im Blick auf eine Stromlücke ist nicht haltbar.