In Pakistan haben Millionen Flutopfer noch immer keine Unterkunft

Keine Entwarnung möglich

Es waren die schwersten Überschwemmungen in der Region seit fast 100 Jahren: Im Juli setzte ein ungewöhnlich heftiger Monsun-Regen im Nordwesten Pakistans ein und überflutete ganze Landstriche. Das Hochwasser bedeckte schließlich eine Fläche von der Größe Englands. Über 1.700 Menschen kamen ums Leben, rund 20 Millionen waren vom Hochwasser betroffen. Auch wenn die akute Gefahr vorbei ist, leiden immer noch Millionen Menschen an den Folgen der Flut.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Das winzige Boot nach Johi soll gleich abfahren. "Los, kommt", ruft der Fährmann und winkt. Die Passagiere bringen Säcke mit Lebensmitteln, Motorräder, sogar ein Auto soll aufgeladen werden. Die Wassermassen im pakistanischen Flutgebiet sind zwar zurückgegangen. Aber viele Straßen im Süden des Landes sind auch drei Monaten nach Beginn der Katastrophe noch überflutet.



Der schnellste Weg, um hier voranzukommen, ist mit kleinen, bunt bemalten Kähnen. Denn das Wasser steht rund um Johi immer noch etwa drei Meter hoch. "Wir beten Verse aus dem Koran, wenn wir mit dem Boot fahren, weil viele schon gekentert sind", sagt Bajhi Lund, eine ältere Frau. Doch für viele ist die Schiffreise die einzige Möglichkeit, zum Arzt zu kommen oder Lebensmittel zu ergattern.



Von den zehn Bezirken um Johi stehen acht immer noch unter Wasser. Die etwa 60.000 Einwohner der Stadt haben sich selbst gerettet, als die Jahrhundertflut kam. Nach der ersten Hochwasserwarnung arbeiteten die Menschen Tag und Nacht, um einen 14 Kilometer langen Schutzdeich aufzuschütten.



Millionen ohne eine Notunterkunft

"Mindestens sieben Millionen Menschen sind in den von der Flut betroffenen Gebieten noch ohne eine Notunterkunft", sagt UN-Sprecherin Stacey Winston in Islamabad. Das Hochwasser hat über 1,9 Millionen Häuser beschädigt oder zerstört. Um die 14 Millionen Menschen, so schätzt Winston, sind weiter auf unmittelbare Hilfe angewiesen. Die Vereinten Nationen teilen immer noch Lebensmittelrationen für 2,5 Millionen Menschen aus.



Die Flut hat nach Schätzungen der Weltbank einen Schaden von knapp zehn Milliarden Dollar angerichtet. Straßen, Schulen, Brücken, Elektrizitäts- und Wasserversorgung müssen vielfach wieder hergestellt werden. Weil das Wasser viele Felder überschwemmt hat, fallen dort große Teile der Herbsternte aus.



Verlust doppelt so hoch wie nach dem Erdbeben 2005

Weil Pakistans Wirtschaft stark von der Landwirtschaft abhängig ist, leidet das ganze Land. "Der geschätzte Verlust durch die Flut ist fast doppelt so hoch wie der durch das Erdbeben in Pakistan 2005", sagt Rune Stroem, der pakistanische Landeschef der Asiatischen Entwicklungsbank. Die UN haben einen Spendenaufruf über zwei Milliarden Dollar für Katastrophenhilfe ausgegeben. Bislang sind etwa 35 Prozent der Summe zur Verfügung gestellt worden.



Trotz vieler Hilfsaktionen und Unterstützung drohen den Flutopfern ansteckende Krankheiten. Die Weltgesundheitsorganisation meldete 99 Cholera-Fälle in den vom Hochwasser betroffenen Regionen. Die Durchfallerkrankung wird durch verseuchtes Wasser verursacht und ist hochansteckend. Auch blutbrechende Fieberinfekte wie Dengue und Krim-Kongo-Fieber sind auf dem Vormarsch. Für eine Entwarnung ist es also noch zu früh.