Ein Jahr Schwarz-Gelb aus kirchlicher Perspektive

Gerichtsurteile und überraschende Reformen

Ein Jahr liegt die Vereidigung der schwarz-gelben Koalition zurück. Zeit für die Katholische Kirche eine Bilanz zu ziehen. Prälat Karl Jüsten, der Leiter des Katholischen Büros in der Hauptstadt, spricht im domradio.de-Interview über die überraschende Entwicklungspolitik, über „nicht besonders dolle“ fünf Euro mehr und über seine Erwartungen an eine PID-Abstimmung.

 (DR)

domradio: Vor einem Jahr war eine schwarz-gelbe Regierungskoalition auch für die Kirchen neu. Es stellten sich die Fragen:  was wird da auf sie zukommen? Welchen Wert wird das "C" in der Politik in dieser Regierungskonstellation haben? Herr Prälat, welches Resümee ziehen sie nach einem Jahr?

Prälat Jüsten: Nach einem Jahr kann man natürlich noch kein endgültiges Fazit ziehen, man kann nur Erfahrungen schildern, die man im ersten Jahr mit der neuen Regierung hatte. Und das ist ambivalent, so wie das immer mit Erfahrungen in der Politik ist. Auf der einen Seite erfahren wir viel Wertschätzung, etwa im Bereich der Entwicklungspolitik. Da haben sich unsere Befürchtungen Gott sei Dank nicht bewahrheitet. Die Kirchen sind ein bevorzugter Gesprächspartner für den neuen Entwicklungshilfeminister und der Minister nimmt auch sehr wohl Anliegen, wie wir sie in den Kirchen entwickeln, auf. So dass ich aus diesem Bereich Positives berichten kann. Gleichwohl - wenn es um das liebe Geld geht,  muss man natürlich aufpassen, dass man da weiter Berücksichtigung findet, so wie das im Koalitionsvertrag versprochen worden war. Da sind wir im Moment im Gespräch, dann gibt es andere Bereiche, die uns natürlich auch ganz wichtig sind. Etwa die Sozialpolitik, da haben wir damals als der Koalitionsvertrag verabschiedet wurde, schon angemahnt: wenn gespart wird, dann muss es auch sozialgerecht zugehen! Da haben wir - als jetzt die Umsetzung der Hartz-Sätze ins Haus stand - hingeschaut und gefragt, ob man mit den Sätzen, die da jetzt verabredet wurden, ob man damit eine Familie ernähren kann oder nicht.  Das halten wir eher für nicht besonders dolle, was da an Leistungen für die Menschen zusätzlich bereitgestellt wird.



domradio: Also die fünf Euro mehr sind Ihnen nicht genug?

Jüsten: Das ist so wie das zunächst da steht sehr gering, zumal die angekündigten Ausgaben für die Bildung nicht transparent genug sind und da noch genau geschaut werden muss, was denn da an Leistungen für die Bildung, insbesondere für die Kinder, zugelegt wird.



domradio: Hartz IV ist ein wesentlicher Punkt, aber auch die Finanzkrise, dann die Gesundheitspolitik, jetzt auch die Ökosteuer. In vielen Fällen haben die Bürger das Gefühl bekommen, dass diese Regierung die Steuerreform über den Geldbeutel der Steuerzahler regelt, das wäre demnach auch gegen eine christliche Sozialpolitik, oder?

Jüsten:  Da ist wahrscheinlich bei der Bevölkerung ein besonders großer Unmut, weil sie die Koalition gewählt haben mit der Absicht, dass Steuersenkungen durchgeführt werden und die Steuersenkungen in der breiten Front sind ja vor allem für den Otto-Normalverbraucher ausgeblieben. Die Leute wollen natürlich schon wissen, was im Geldsäckel ist, um hinterher eine Regierung bemessen zu können. Gleichwohl haben die Kirchen natürlich auch immer angemahnt und gesagt, wir müssen auch solide Finanzen haben. Es nützt also nichts, wenn wir eine Überschuldung haben und wenn die Schuldenlast insgesamt zu groß wird, das hat auch gerade der Vorsitzende der Bischofskonferenz angemahnt. Von daher waren wir Kirchen eh nie diejenigen, die auf Steuersenkungen gedrungen haben, so wie das die Parteien getan haben, deshalb sehen wir das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Bevölkerung ist sicherlich unzufrieden, dass diese Steuersenkungen ausgeblieben sind. Wir als Kirchen sagen aber gleichwohl, wenn das Geld zur Konsolidierung des Haushalts beiträgt, dann ist das auch eine vernünftige Einnahme.



domradio:  Wie steht die Kirche überhaupt zur Abschaffung der Wehrpflicht? Die Bundeswehrreform ist ja ein wesentlicher Punkt an dem sich die Geister scheiden.

Jüsten: Das war sicher eine nicht so vorhergesehene Reform der jetzigen Regierung. Wir als Kirche beobachten das mit einer größeren Distance, weil wir sagen, es gibt natürlich Länder auf dieser Welt, wo es eine allgemeine Wehrpflicht gibt und auch Länder, wo es sie nicht gibt. Das ist natürlich auch hier in Deutschland eine Entscheidung der Wehrgerechtigkeit und wenn die Wehrgerechtigkeit nicht mehr hergestellt wird, dann muss man die Wehrpflicht fallen lassen. Daran hängt nun aber auch die Umgestaltung, die Abschaffung des Zivildienstes und da sind wir im Augenblick in heftigen Gesprächen mit der Regierung. Weil wir natürlich nicht wollen, dass die anderen freiwilligen Dienste, die es auch gibt, dann möglicherweise mit den Bach runtergehen.



domradio: Ein sehr heikler Punkt für die Kirchen ist derzeit auch die Grundsatzentscheidung der Präimplantationsdiagnostik (PID). Heute wird im Bundestag darüber diskutiert, ob das Verfahren künftig erlaubt oder verboten sein soll. Damit kann festgestellt werden, ob ein Kind gesund oder krank zur Welt kommen wird. Wie beurteilt die Kirche diese Entscheidung, die ja bis Ende des Jahres stehen soll?

Jüsten: Wir halten es für richtig, wenn ein Verbot des PID auch weiterhin beschlossen wird. Wir sind ja bisher davon ausgegangen,  dass das im Embryonenschutzgesetz so geregelt ist, dass ein Verbot eigentlich steht. Erst das Urteil des BGH hat das ja in Frage gestellt. Nun kann man die Weisheit dieses Gerichtsurteils noch mal kritisch hinterfragen... Wir hoffen natürlich, dass es im Bundestag eine hinreichend große Mehrheit gibt, die unserer Auffassung folgt. So schlecht stehen die Chancen nicht, immerhin hat die CDU in ihrem Grundsatzprogramm das so beschlossen und da hoffen wir mal auf die Prinzipientreue der Union. Wir hoffen natürlich auch, dass es eine genügend große Zahl von Abgeordneten im Deutschen Bundestag gibt, die das auch so sehen wie wir. Der Koalitionspartner der Union sieht das nur leider etwas anders, die wollen da eine weitere Liberalisierung und da wird das jetzt die Debatte zeigen, ob wir uns durchsetzen können. Mit dem möglichweise aufgehobenen Fraktionszwang sehen wir da noch einige Chancen für unsere Haltung.