Bundesregierung will Zwangsheirat stärker ächten - Kritik von Verbänden

Wege aus der Ehehölle

Zwangsehen sollen in Deutschland konsequenter bestraft werden. Das Bundeskabinett verabschiedete am Mittwoch in Berlin einen Gesetzentwurf, nach dem eine Zwangsheirat künftig als eigene Straftat verfolgt werden soll. Zudem sollen Opfer von Zwangsehen besser geschützt werden. Die Planungen stoßen dennoch auf Kritik.

Autor/in:
Christoph Schmidt
 (DR)

Serap Cileli war gerade 15, als ihre Eltern sie aus Deutschland in die Türkei brachten - um einen völlig fremden Mann zu heiraten. Nach Jahren gelang Serap die Flucht zurück nach Deutschland. Hülya Kalkan aus Marbach sollte mit 17 in der Türkei zwangsverheiratet werden. Sie floh in ein Stuttgarter Wohnprojekt, machte Abitur und studierte. Sonja Fatma Bläser kam aus Ostanatolien in die Bundesrepublik. Mit 19, im Türkei-Urlaub, präsentierte ihr die Familie einen Bräutigam, den sie weder kannte noch wollte. Auch ihr gelang nach der Hochzeit die Flucht, aber noch lange drohten ihr Vater und Bruder mit dem Tod.



In beklemmenden Erlebnisberichten haben die drei Frauen ihr Schicksal geschildert und engagieren sich nun aktiv gegen Zwangsheiraten muslimischer und türkischer Frauen. Sie sprechen von einem Massenphänomen, das in Deutschland viel zu lange übersehen worden sei. "Allein in diesem Jahr kamen neben immerhin 116 Männern schon 280 Mädchen und Frauen zu uns", erzählt Bläser, die in Leverkusen die Beratungsstelle Hennamond gründete. Nach dem am Mittwoch von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurf steht ihnen bald auch das Strafgesetzbuch explizit zur Seite.



Als eigener Straftatbestand soll Zwangsheirat demnach mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Bisher konnten sich Ermittler lediglich auf das Delikt Nötigung berufen, doch zu Klagen kam es meist gar nicht. "Eine Klarstellung" sei dieser Gesetzentwurf, meint Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Mehr nicht, möchte man hinzufügen. Denn trotz der hohen Dunkelziffer erzwungener Ehen wird ein neues Gesetz keine Prozesslawine auslösen.

Die Praxis in den Anlaufstellen zeigt: Die Frauen suchen verzweifelt nach Beratung und Vermittlung, Klagen gegen die eigene Familie, den Bruch mit ihrer meist einzigen Solidargemeinschaft wollen dagegen die wenigsten.



Kult um die Jungfräulichkeit der Tochter

Sie sind Opfer eines Ehrbegriffs, der in seiner archaisch-sexuellen Aufladung hierzulande unverständlich ist. Zwar geht es bei Zwangsheiraten zuweilen auch um finanzielle Vorteile und Aufenthaltstitel. Doch im Mittelpunkt steht der Kult um die Jungfräulichkeit der Tochter, die um jeden Preis als "unberührte" Braut und deshalb möglichst schnell an den Ehemann gebracht werden soll, bevor das Mädchen ihrer Familie durch eigene Erfahrungen "Schande" machen könnte.



Oft sind solche Ehen schon Jahre im Voraus zwischen den Familien vereinbart. Man will wissen, worauf man sich einlässt, kennt die Vorzüge und Schwachstellen der anderen. Ein Großteil der Ehen in der islamischen Welt ist arrangiert, was meist von beiden Partnern akzeptiert wird. Verweigert die Frau jedoch die Heirat, wiegt der Ehrverlust für ihre Familie fast ebenso schwer wie verlorene Unschuld. Als einziger Ausweg gelten dann oft nur noch Zwang und Gewalt gegen die Frau - bis hin zum "Ehrenmord".



"Der Islam verbietet die Zwangsheirat", sagt Erol Pürlü, derzeit Sprecher des Koordinationsrats der Muslime (KRM). Dahinter stünden patriarchalische Strukturen, die kulturell bedingt seien und sich nicht mit dem Koran rechtfertigen ließen. Er verweist auf Hilfsangebote, etwa des türkischen Verbands DITIB, die sich speziell an Opfer von Zwangsheiraten wenden. Das deutsche Strafgesetz biete aber schon jetzt genug Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.



Ein Jahr länger leiden

Für Sonya Fatma Bläser lassen sich das Islambild und der Zwang innerhalb der Familien jedoch nicht trennen. Gerade den islamischen Verbänden wirft sie vor, jahrelang ein schärferes Vorgehen gegen Zwangsheirat torpediert zu haben. "Diese Leute haben uns nur Knüppel zwischen die Beine geworfen, zugunsten der Täter und gegen die Opfer." Pürlü spricht von Unterstellungen.



Bläser ist froh, dass das Rückkehrrecht von ins Ausland zwangsverheirateten Frauen deutlich gestärkt werden soll. Enttäuscht zeigt sie sich aber davon, dass ausländische Ehepartner künftig drei, statt bisher zwei Jahre verheiratet bleiben müssen, um nach einer Trennung ein selbstständiges Aufenthaltsrecht zu bekommen. "Die Frauen beißen dann eben ein Jahr länger die Zähne zusammen." Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband nannte die Entscheidung verfehlt. Der Beschluss nötige von Zwangsheirat oder Gewalt betroffene Frauen, ein Jahr länger in Angst und Unterdrückung auszuharren. Um einen wirksamen Opferschutz zu gewährleisten, sei ein deutlicher Ausbau von Beratungsangeboten erforderlich.