Nach einem Jahr im Amt kritisieren Kirchen Niebels Entwicklungspolitik

Nicht der erhoffte Anwalt der Armen

Mit großem Getöse ist Dirk Niebel vor einem Jahr in sein Entwicklungsministerium gestolpert. Die Empörung über den Liberalen, der sein eigenes Ressort abwickeln wollte, hat sich seitdem zwar gelegt. Doch Kritik ist geblieben. So fordern die Kirchen einen stärkeren Fokus auf den Kampf gegen Armut.

 (DR)

Die neue, stärker an deutschen Interessen ausgerichtete Strategie des Entwicklungsministeriums (BMZ) orientiere sich nicht mehr zentral an den Bedürfnissen der eine Milliarde Hungernden und dem Schutz der Menschenrechte, kritisierte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) am Dienstag (26.10.2010). International vereinbarte entwicklungspolitische Ziele dürften angesichts von Interessen der deutschen Außenpolitik und -wirtschaft nicht relativiert werden.



Die GKKE schlägt in ihrem neunten "Bericht zur kohärenten Armutsentwicklung" die Einrichtung eines BMZ-geführten Arbeitskreises vor, der eine koordinierte Armutsbekämpfung zum Ziel haben soll. Daran sollten auch Zivilgesellschaft und Kirchen maßgeblich beteiligt werden. Grundsätzlich begrüßten die Kirchen die Bestrebungen der Bundesregierung, die Zusammenarbeit der Akteure im Bereich der Entwicklungshilfe zu verbessern.



Niebel selber dagegen sieht die deutsche Entwicklungspolitik nach einem Jahr im Amt "auf einem sehr guten Weg". Die Entwicklungszusammenarbeit sei durch den Abbau von Doppelstrukturen und die Reform der zuständigen Einrichtungen wirksamer geworden, so der Minister. Zudem sei der Etat leicht gewachsen.



Die Regierung halte an internationalen Verpflichtungen wie etwa dem Global Fonds zur Bekämpfung verbreiteter Krankheiten und dem Ziel fest, bis 2015 insgesamt 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe aufzuwenden, so der Minister. Er räumte aber ein, dass dies mit dem jetzigen Etat nicht zu erreichen sei.



Seine Kritiker kanzelt Niebel schroff ab

Am 28. Oktober ist Niebel ein Jahr im Amt. Von dem Minister, der zuvor nichts mit Entwicklungspolitik am Hut hatte, hätte wohl auch niemand erwartet, dass er die Reform der staatlichen Entwicklungshilfe so schnell und geräuschlos über die Bühne bringen würde. Zwar ist die Fusion der drei Organisationen der technischen Entwicklungszusammenarbeit kein "epochaler Wechsel in der deutschen Entwicklungspolitik", wie Niebel triumphierend verkündet hat. Doch sie gibt dem Ministerium ein großes Stück Steuerungsfähigkeit zurück und bringt mehr Einheitlichkeit im deutschen Auftritt im Ausland.



Ein solch umsichtiges und diplomatisches Vorgehen lässt der Minister auf internationaler Bühne jedoch mitunter vermissen. So rückte der Minister erst mehr Geld für den Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria heraus, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutsche Unterstützung zugesichert hatte. Freimütig bezeichnet der Heidelberger auch die internationale Verpflichtung, 0,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung bis 2015 in Entwicklungshilfe fließen zu lassen, als "sportliche Aufgabe". Seine Kritiker aus Hilfswerken kanzelt Niebel dabei schroff als "Alt-68er" ab, "die immer noch meinen, eine Schüssel Hirse würde den Armen in der Welt nachhaltig helfen".



Dahinter steht auch die Skepsis des FDP-Politikers vor Entwicklungszusammenarbeit durch multinationale Organisationen. Wie im Koalitionsvertrag festgelegt, will Niebel die bilaterale zulasten der multilateralen deutschen Hilfe deutlich erhöhen. Doch eine solche öffentlichkeitswirksame Entwicklungshilfe unter deutscher Flagge lässt sich nur bedingt realisieren. "Aufgrund der knappen Haushaltsmittel und der internationalen Verpflichtungen Deutschlands ist dieses Ziel schwer erreichbar", räumt selbst der entwicklungspolitische Sprecher des Koalitionspartners CDU, Holger Haibach, ein.



"An die Schüssel Hirse glaubt längst keiner mehr"

Ulrich Post, Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik, konstatiert, dass sich die Rolle des Entwicklungsministeriums seit Niebels Amtsantritt gewandelt habe. "Der Minister versteht sich nicht mehr als Anwalt der Armen." Vielmehr dominierten deutsche Eigeninteressen die Entwicklungspolitik stärker als bisher. Von der deutschen Hilfe solle möglichst auch die deutsche Wirtschaft profitieren. Und wenn Deutschland am Hindukusch verteidigt werde, müssten dies sogar nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen unterstützen, kritisiert Post, der über seinen Verband mehr als 100 kirchliche und private Organisationen vertritt.



Effiziente und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit könne aber nur gelingen, wenn alle Akteure "ohne ideologische Scheuklappen" zusammenarbeiteten, sagt der Entwicklungsexperte. "Wenn Bundesregierung, Kirchen, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen an einem Strang ziehen, lässt sich viel bewegen", sagt Post: "An die Schüssel Hirse glaubt längst keiner mehr."