Küng und Wickert diskutieren zum Auftakt der Religionstagung

«Wir bekommen kein christliches Europa mehr»

Gleich zu Beginn eine Spitze in Richtung Rom, die an diesem Abend nicht die letzte sein sollte: "Das Papsttum führte nicht aus der Hölle des Krieges." Damit meinte Hans Küng den Dreißigjährigen Krieg, der zu einem deutlichen Machtverlust des Vatikan geführt habe. Am Mittwochabend in Osnabrück hielt der Tübinger Theologe einen Vortrag zum Thema "Eine gemeinsame Vision vom Frieden in der Welt - Religionen als treibende Kraft für eine Kultur des Friedens". Anschließend diskutierte er mit TV-Journalist Ulrich Wickert über das Thema, das bis Samstag im Zentrum eines Internationalen Symposiums in der Stadt des "Westfälischen Friedens"
steht: Religionen und Weltfrieden.

Autor/in:
Stefan Buchholz
 (DR)

Auch die neuen und allein von der Politik bestimmten Konstellationen führten in den vier Jahrhunderten nach dem Konfessionskrieg nicht zum Frieden, meinte Küng weiter. "Wir sind heute auf dem Weg in die multipolare Welt, in der sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Kooperation statt Konfrontation auf der Tagesordnung steht", sagte der 82-Jährige. Dieser Mentalitätswechsel habe sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges allmählich bis hinein in alle internationalen Gremien durchgesetzt. Befördert hätten diesen Prozess weltweit viele Religionsgemeinschaften.



Schon weit vor dem Völkermord in Ruanda sprachen sich laut Küng die dort lebenden Muslime dagegen aus, mit in die anschwellende Hasspropaganda einzustimmen. "Sie haben das auch in den Schulen gelehrt und verweigerten sich kollektiv dem im Frühjahr 1994 einsetzenden Gemetzel." Oder: Der offene Brief der 138 Islam-Gelehrten an die christlichen Gemeinschaften, der nach der umstrittenen Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. für Dialog, politischen und religiösen Frieden warb. Auch das für Küng ein Beweis, wie friedensstiftend Religionen wirken - auch das wieder ein Seitenhieb gegen den Vatikan, der dem Professor wegen theologischer Differenzen vor fast 21 Jahren die kirchliche Lehrerlaubnis entzog.



Als weiteres Beispiel lenkte der Präsident der Stiftung Weltethos den Blick auf die Vermittlungsbemühungen in Mozambique durch die katholische Gemeinschaft Sant" Egidio. Allmählich setze sich die Erkenntnis durch, dass Verschiedenheit keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung sei, meinte Küng. "Es wird kein christliches Europa mehr geben, weil das die Leute auch nicht mehr so wollen, wie es manchen Kirchenoberen vorschwebt." Benötigt werde künftig weltweit eine ethische Grundlage, von der aus nicht mehr getötet, gestohlen, betrogen und Sexualität nicht missbraucht werde. Küngs Vision für den Weltfrieden: "Jede Religion erlangt aufgrund ihrer Spiritualität maximale Wirkung, alle Religionsgemeinschaften kooperieren miteinander, und alle setzen den Frieden als Topthema auf die Agenda."



Gesprächspartner Ulrich Wickert kritisierte, Kirche und Religion hätten immer wieder gegen ihre Prinzipien verstoßen. Und was mit dem "Dschihad", dem islamischen "heiligen Krieg" sei, "da kommt doch das Böse aus der Religion", stellte Wickert fest. Der "heilige Krieg", antwortete Küng, sei zweifach zu werten: Einmal als Weg zur persönlichen Läuterung, zum anderen richte er sich nach außen. "Im zweiten Fall muss die Politik dann auf Religion einwirken", betonte der Professor.



Lobende Worte fand Küng für die Türkei und deren Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dieser habe erkannt, dass man in dem Land, das sich streng laizistisch sieht, am Islam nicht mehr vorbei regieren könne, meinte der Religionsexperte. "Viele muslimische Staaten schauen gebannt auf das türkische Experiment, den Islam und die Demokratie miteinander zu verbinden."