Bestseller-Autor Lütz zu Gunther von Hagens neuestem Marketinggag

"Das ist eben ein perverser Geschäftemacher"

Nachdem schon die Kirchen Gunther von Hagens geplanten Internet-Handel mit Leichen-Plastinaten scharf verurteilt haben, schaltet sich nun auch der Psychiater und Bestseller-Autor Dr. Manfred Lütz in die Debatte ein. Im domradio.de-Interview wirft er von Hagens Selbstinszenierung vor und warnt die Menschen davor, sich selbst zu konsumieren.

 (DR)

domradio.de: Gunther von Hagen ist immer wieder für Provokationen gut. Testet er hier wieder eine neue Grenze aus?

Lütz: Das ist eben ein perverser Geschäftemacher. Das hat mit Kunst überhaupt nichts zu tun, das behauptet er ja immer nur. Wenn diese Ausstellungen Kunst wären, dann könnte er das ja auch aus Plastik herstellen, dann hätte man das gleiche ästhetische Empfinden. Aber es geht ihm darum, Leichen auszustellen, und das macht den Kitzel für die Leute aus. Das Bedenkliche dabei ist, dass sich die Menschen selbst konsumieren. Im Grunde ist das eine Form von optischem Kannibalismus, den wir da betreiben. Um den Kick zu haben, um etwas ganz Außergewöhnliches zu haben, sind wir bereit, Grenzen zu überschreiten, die tatsächlich Grenzen des Humanen sind. Die Archäologen z.B. stellen daran fest, ob etwas ein Mensch oder ein vormenschliches affenartiges Lebewesen war, ob die Leute beerdigt haben. Wenn wir nicht mehr beerdigen, wenn wir keine Pietät mehr haben vor dem menschlichen Körper, dann geht auch bald die Pietät vor der Würde jedes einzelnen Menschen verloren, dann kann man den Menschen beliebig dem Konsum zur Verfügung stellen. Das halte ich für die Gefahr des Ganzen.



domradio.de: Das Internet gilt als rechtsfreier Raum. Inwieweit kann man solchen Angeboten von plastinierten menschlichen Körperteilen wohl Einhalt gebieten?

Lütz: Das müssen Juristen entscheiden, man muss ihm da Einhalt zu gebieten versuchen. Alleine die Vorstellung (dieses Internethandels)macht viele Leute, die schon einmal in seine Ausstellung gegangen sind, vielleicht doch ein wenig skeptisch. Das ist vielleicht das Gute an der ganzen Aktion, dass man einmal sieht, wie pervers dieser Mann ist, dass er, um sich selbst zu inszenieren, vor überhaupt nichts mehr zurückscheut. Der Fall Gunther von Hagens ist in gewisser Weise lehrreich, um zu zeigen, wie weit wir kommen, wenn man über alle Grenzen geht, und wie das tatsächlich der Menschlichkeit unserer Gesellschaft Schaden zufügt.



domradio.de: Von Hagen selbst behauptet, er würde die Demokratisierung der Anatomie vorantreiben. Wie wichtig ist es, dass Forschung und Wissenschaft tatsächlich Raum gegeben wird?

Lütz: Mit Forschung und Wissenschaft hat das nichts zu tun! Sowohl an seinen Professorentitel als auch an seinen Adelstitel ist er ja offensichtlich mit höchst obskuren Methoden gekommen. Er versucht sich selbst zu inszenieren, mit allem was möglich ist. Das eine Demokratisierung der Anatomie zu nennen, ist nur ein Marketinggag! Das hat weder etwas mit Anatomie noch mit Demokratie zu tun. Aber es ist ein provokanter Titel, wo die Leute denken, das könnte etwas sein. Wenn man dann auch noch gewisse Fremdworte verwendet, erweckt man vielleicht den Eindruck, es hätte etwas mit Forschung und Wissenschaft zu tun. Das hat es aber nicht. Das ist Selbstvermarktung.



domradio.de: Die Angebote sollen, so heißt es, nur qualifizierten Nutzern zugänglich gemacht werden. Also Ärzten, Forschern und Kliniken. Macht es das besser?

Lütz: Nein. Wenn er das wirklich wollte, dann könnte er sich an die Universitäten wenden, an denen Mediziner ausgebildet werden, da braucht man nicht ins Internet zu gehen. Er will das, um sich selbst mal wieder ins Gespräch zu bringen. Und dass er da vor gar nichts mehr zurückschreckt, das ist schon beunruhigend.



domradio.de: Die Würde des Menschen ist unantastbar - heißt es im Grundgesetz. Wie sehr wird die Würde denn in diesem Fall angetastet?

Lütz: Ich glaube, es ist eine Gefährdung, aber vielleicht auch ein Anlass, dass die Gesellschaft sich einmal überlegt, was man bereit ist zu tolerieren, was noch mit Meinungs- und Kunstfreiheit und Demokratie vereinbar ist und wo es Grenzen geben muss. Ich glaube, hier ist eine Grenze überschritten.



Das Interview führte Stephanie Gebert.