Muslime und Christen in Deutschland loben Wulff-Rede in der Türkei

Klug gewählte Worte

Muslime und Christen in Deutschland haben die Rede von Bundespräsident Christian Wulff vor dem türkischen Parlament positiv bewertet. Wulffs Worte seien "klug gewählt", sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland Aiman Mazyek. Wulff habe am Dienstag «eine Wegmarke für das friedliche Zusammenleben der Religionen» gesetzt, sagte der Konferenzvorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch. Lesen Sie hier weitere Reaktionen.

 (DR)

Mazyek verglich gegenüber den Zeitungen die Integrationsdebatte in Deutschland mit der um religiöse Minderheiten in der Türkei. "Genau so, wie in der Türkei Christen von Ultra-Nationalisten als Gefahr für die Einheit des Landes betrachtet werden, sehen Rechte in Deutschland hinter jedem Muslim den Untergang des christlichen Abendlandes." Religionsfreiheit sei aber "nicht nur ein wesentlicher Bestandteil des muslimischen Glaubens, sondern auch integraler Bestandteil des europäischen Werteverständnisses".



Der Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung, Haci Halil Uslucan, lobte, dass Wulff Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Türken betone, statt "unnötige Distanzen zwischen Mehrheit und Minderheit entstehen zu lassen".



Auch der Chef der türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, zeigt sich zufrieden mit der Rede Wulffs. "Der Bundespräsident hat sich für eine enge wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei ausgesprochen, er hat klar gestellt, dass der Islam demokratiefähig ist und mit seiner Betonung auf die Brückenrolle der Türkei eine Begründung für den Beitritt des Landes zur Europäischen Union geliefert", sagte Kolat der "Berliner Zeitung". Kolat lobte auch, dass Wulff die tükischen Einwanderer in Deutschland willkommen geheißen hat. Er forderte den Bundespräsidenten auf, sich nun auch in Deutschland mit Vertretern der türkischen Gemeinde zu treffen.



Katholiken und Protestanten in Deutschland loben klare Worte

Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat die Rede gelobt. Wulff habe am Dienstag "eine Wegmarke für das friedliche Zusammenleben der Religionen" gesetzt, sagte der Konferenzvorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, am Mittwoch. "Ich bin dem Bundespräsidenten dankbar für seine klaren Worte, nach denen das Christentum zur Türkei gehört." Es sei wichtig gewesen, dass der Bundespräsident sich auf die Menschenrechtskonvention des Europäischen Rates berufen habe, in dem die Türkei Mitglied ist, fügte der Freiburger Erzbischof hinzu. "Ich hoffe sehr, dass die türkische Regierung die klaren Forderungen gehört hat und jetzt Taten folgen lässt, damit die Christen in der Türkei ihren Glauben frei leben können und die Kirchen ihre Zukunft zu sichern fähig sind." Dazu gehöre die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die Sicherung des theologischen Nachwuchses im Land und der Neubau von christlichen Kirchen, sagte der Konferenzvorsitzende.



Der Kölner Stadtdechant Prälat Johannes Bastgen, der sich seit vielen Jahren für die Rechte der katholischen Minderheit in der Türkei engagiert und erst vor wenigen Wochen aus Tarsus zurückgekehrt ist, zeigt sich gegenüber domradio.de erfreut über die Rede Wullfs. Er selbst setze sich gerade im Zusammenhang mit dem Bau der Zentralmoschee in Köln für die Religionsfreiheit der Muslime in Deutschland ein, habe dieselbe Religionsfreiheit aber auch immer von der Türkei gefordert. Wulff hatte die Türkei zum Schutz der dort lebenden christlichen Minderheit aufgerufen. "Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei", sagte er in seiner Rede. Muslime könnten in Deutschland ihren Glauben in würdigem Rahmen praktizieren, davon zeuge die zunehmende Zahl der Moscheen. "Gleichzeitig erwarten wir, dass Christen in islamischen Ländern das gleiche Recht haben, ihren Glauben öffentlich zu leben, theologischen Nachwuchs auszubilden und Kirchen zu bauen", sagte das Staatsoberhaupt weiter. Die Religionsfreiheit sei Teil des Verständnisses von Europa als Wertegemeinschaft, so Wulff wörtlich.



"Klare Worte, starke Rede", so der Kommentar des Europaabgeordneten und Bundesvorsitzenden der katholischen Ackermann-Gemeinde, Martin Kastler. "Wulff war als deutscher Präsident, als Christ und als Europäer ans Rednerpult getreten. Sein Eintreten für die christliche Minderheit war sicher nicht einfach, sicher nicht bequem. Es war ein unmissverständliches Bekenntnis zu den Grundwerten der Europäischen Union." Bis heute, so Kastler, "werden Christen in der Türkei als kleine Minderheit diskriminiert: Behörden verhindern weiter den Bau von Kirchen, den großen Konfessionen ist die Priesterausbildung verboten. Bibeln und andere christliche Literatur dürfen auf den Straßen nicht verteilt werden, christliche Straßenfeste und Prozessionen sind verboten, christlichen Rundfunksendern wird keine Lizenz erteilt - um nur einige Beispiele zu nennen." Religionsfreiheit, so Kastler, "ist keine Einbahnstraße. Der Bundespräsident hat mit der Türkei ein Mitglied des Europarates vollkommen zu recht daran erinnert, dass Christen in islamischen Ländern Gleichberechtigung verdienen - dass sie das Recht haben, ihren Glauben öffentlich zu leben, theologischen Nachwuchs auszubilden und Kirchen zu bauen. Die Türkei hat den Artikel 24 in der Verfassung - und tut gut daran, ihn landesweit umzusetzen."



Wulffs Aussage, das Christentum gehöre "zweifelsfrei zur Türkei" habe eine politische sowie eine historische Dimension.  Beides komme zum Ausdruck, wenn Bundespräsident Wulff heute an einem ökumenischen Gottesdienst in Tarsus teilnehme: "Tarsus ist der Geburtsort des Apostels Paulus - die Kirche dort eine christliche Pilgerstätte. 1943 wurde sie vom türkischen Staat beschlagnahmt und lange als Militärlager genutzt - heute ist sie ein Museum. Bemühungen um eine Rückgabe an die katholische Kirche werden ebenso ignoriert wie die Initiative des Kölner Kardinal Meisners auf Neubau oder Ankauf einer bestehenden Kirche vor Ort. Wollen wir hoffen, dass der Besuch des Bundespräsidenten auch dort Zeichen setzt und eine klare Sprache spricht."



"In aller Klarheit"

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt den Aufruf Wulffs zum Schutz der christlichen Minderheit in der Türkei. In aller Klarheit habe Wulff auf die schwerwiegenden Probleme hingewiesen, denen sich die Christen in der Türkei gegenübersähen, sagte der Bevollmächtigte des Rates der EKD, Prälat Bernhard Felmberg, am Dienstag in Berlin. Wie schon bisher die christlichen Kirchen in Deutschland habe Wulff die Erwartung formuliert, dass Christen in der Türkei das Recht haben müssten, ihren Glauben öffentlich zu leben, theologischen Nachwuchs auszubilden und Kirchen zu bauen.



Felmberg verwies auf den Bogen, der sich von Wulffs Rede zum Tag der deutschen Einheit zu dessen Ansprache vor dem türkischen Parlament in Ankara spanne: "Die nicht unumstrittenen Passagen zur Beheimatung des Islams in Deutschland haben ihm die Freiheit gegeben auch heute den bemerkenswerten Satz "Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei" zu sagen." Zu Recht habe das Staatsoberhaupt an die gemeinsame Verpflichtung beider Staaten im Blick auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erinnert, sagte der Prälat weiter. Dabei habe Wulff für ein vertrauensvolles Handeln angesichts der Bedrohungen des 21. Jahrhunderts geworben und die Türkei ermutigt, den "Weg nach Europa" fortzusetzen. Dies sei die Grundlage eines offenen Dialogs zwischen beiden Ländern, sagte Felmberg.