Ein katholischer Priester in der Türkei berichtet über die Diaspora

"Wir sind nur in der Promillezahl vorhanden"

Pater Franz Kangler, lange Zeit Leiter des Österreichischen St.-Georgs-Kollegs in Istanbul, jetzt Superior der deutschen Lazaristengesellschaft ebendort, im domradio.de Interview zur Lage der Christen in der Türkei.

 (DR)

domradio.de: Pater Kangler, Sie leben seit über 30 Jahren als katholischer Priester in der Türkei. Wenn man so liest, was Sie bisher über die Situation der Christen im Land geschrieben haben, könnte man denken, die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Bleiben wir erst einmal bei "ernst’ - mit welchen Problemen haben die Christen denn in der Türkei zu kämpfen?--
Pater Kangler: Das Ernste dabei ist einfach die Zahlensituation: Christen in der Türkei sind zurzeit nicht mehr in einer Prozentzahl vorhanden, sondern in einer Promillezahl. Das Problem entsteht dadurch, dass es drei einheimische Kirchen gibt: Die Griechen, die Armenier und die Syrer. Und gerade bei zwei Gruppen ist das immer wieder auch mit politischen Fragen verbunden, sei es mit dem Zypernkonflikt und Griechenland oder auch bei den Armeniern zurzeit mit Spannungen über Aserbaidschan und noch immer unaufgearbeiteten alten Fragen der Geschichte, wie man mit den Armeniern hier umgegangen ist. Bei den Syrern ist die Situation dagegen so, dass durch die Gastarbeiterbewegung eine große Zahl von ihnen ausgewandert und nur eine kleine Gruppe geblieben ist. Also alle drei einheimischen Kirchen sind sehr klein geworden, während die anderen - Katholiken, evangelische Christen etc - im Grunde genommen noch immer Ausländerkirchen sind. Es gibt zwar auch bei ihnen eine kleinere Zahl von türkischen Staatsbürgern, aber die sind wieder in einer anderen Rechtssituation. Und man sieht natürlich auch im Hintergrund von Ordensgemeinschaften etc. die Schwierigkeit, dass die Zahl ihrer Mitglieder, die zu solchen Aufgaben bereit sind, kleiner wird. Also auch da wieder das Schrumpfen der Zahlen. Das ist eines der hauptsächlichen Probleme.

domradio.de: Gibt es denn noch Repressalien, unter denen die Christen dort leiden?--
Kangler: So kann man es nicht sagen. Das Problem ist eigentlich, dass die Christen als Fremdkörper empfunden werden. Das ist zum Teil seit Beginn der Republik so, weil die einheimischen Christen ja in ein einem eigenen Sonderkapitel als Minderheiten abgehandelt worden sind. Die sind die "Anderen’. Der wesentliche Unterschied zu den Muslimen in Deutschland besteht eigentlich darin, dass die Christen ja nicht vor 50 oder 60 Jahren neu in dieses Land gekommen sind, sondern dass das Menschen sind, die schon viel länger in diesem Land leben, als es die Türken oder Osmanen getan haben. Das wird ein bisschen im Gefühl verdrängt. Zum Teil haben natürlich auch die christlichen Kirchen sich selbst ein wenig in sich zurückgezogen und haben sich in ein eigenes Ghetto hineinbegeben, weil man sich da geschützter fühlt. Das ist durchaus auch vergleichbar mit der Situation der Muslime in Deutschland. Aber es wäre jetzt notwendig, dass man gerade solche kleinen Minderheiten sehr bewusst fördert und schützt, weil es zum Reichtum der Türkei dazugehören würde, dass es diese Christen seit den biblischen Zeiten hier gibt. Eine Sondersituation sind wieder die Ausländer, die andere Probleme haben.

domradio.de: Eigentlich sagen Sie aber, es werden immer weniger Christen. Was stimmt Sie denn dennoch hoffnungsfroh, wenn Sie sich die Entwicklung der Situation der Christen im Land ansehen?--
Kangler: Ich sehe, dass jetzt im Gegensatz zu früher zum ersten Mal bewusst Maßnahmen getroffen werden, die die Christen ermutigen sollen. Es hat vor einer Woche erst die Entscheidung gegeben, dass mehreren ausländischen Metropoliten des ökumenischen Patriarchats die türkische Staatsbürgerschaft verliehen wird. Das ist ganz wichtig für das Patriarchat, den der Patriarch braucht ja für seine Tätigkeit eine Synode von 12 Erzbischöfen und die hat er einfach nicht mehr, wenn er sie aus türkischen Staatsbürgern zusammenstellen soll, denn alle sind alt geworden. Und bei einer Kirche von 2.000 bis 4.000 griechisch-orthodoxen Christen- man hört hier sehr verschiedene Zahlen, aber selbst die größere Zahl ist ja minimal - ist es ja klar zu sehen, dass es hier kaum so viele geistliche Berufe geben wird, um eine tragbare Zukunft zu gewährleisten. Allerdings ist der Patriarch zurzeit wieder hoffnungsvoll - ich habe ihn erst vorige Woche wieder bei einem Vortrag gehört - und erwartet eine aktive Unterstützung der Türkei, dass hier etwas besser werden könnte. Und auch mit den Armeniern gibt es jetzt einfach Gespräche und Zeichen. Es ist noch nicht einfach: Es gibt noch immer viele Dinge der Vergangenheit zu überwinden, aber wenn man z.B. auf der Insel Akdamar ganz in der Osttürkei in der Nähe von Van eine lange Zeit verfallende Kirche von großer Bedeutung für die Armenier wieder renoviert hat und zumindest einmal im Jahr dort einen Gottesdienst feiert, ist das ein Hoffnungszeichen für diese Gruppen. Und ähnlich geht es auch den anderen Kirchen. Aber vor großen Problemen stehen wir weiterhin, das ist gar kein Frage.

domradio.de: Sie haben einmal gesagt, die Minderheitssituation der Christen in der Türkei führt zu Impulsen in der Ökumene. Inwiefern?--
Kangler: Das ist wieder eine andere Situation, etwa bei Deutschsprachigen. Wir spüren einfach, dass wir hier als so kleine Gruppen eng zusammenstehen. Wir haben hier ein enges Miteinander, z.B. mit der deutschen evangelischen Gemeinde, aus der Situation heraus, dass in einer solchen Gegebenheit, wo wir nur so wenige sind, das Gemeinsame unseres Christenseins viel größer und stärker ist und uns verbindet als das manchmal uns Trennende. Und so können wir in vielen Punkten gemeinsame Dinge setzen, bis hin zu gemeinsamen Gottesdiensten, die uns gegenseitig bestärken und Mut machen. Das ist schon schön. Es wird auch jetzt am Mittwoch ein ökumenischer Gottesdienst in stattfinden und ich bin eigentlich sehr froh darüber, dass der deutsche Bundespräsident dieses wunderbare Zeichen setzt. Das wird in türkischen Zeitungen schon sehr wahrgenommen, dass der Bundespräsident auch auf die Religionsgemeinschaft der Kirchen in der Türkei achtet. Das ist nicht selbstverständlich. Es gibt natürlich bei all diesen Staatsbesuchen die wirtschaftlichen oder kulturellen Schwerpunkte, dass man jetzt z.B. an eine deutsch-türkische Universität denkt. Das sind ganz sicher bedeutende Themen für einen Bundespräsidenten. Dass er aber hier ganz bewusst auf die Kirchen sieht, dafür sollten wir dem deutschen Bundespräsidenten - das sage ich jetzt als befreundeter Österreicher - durchaus dankbar sein.

domradio.de: Die Zahl der Christen in der Türkei nimmt zwar ab. Aber die Lage der Katholiken und aller anderen Christen am Bosporus verbessert sich. Das ist das Fazit von Pater Franz Kangler, Superior der deutschen Lazaristengesellschaft in Istanbul.