Tafeln versorgen täglich eine Million Menschen mit gespendeten Lebensmitteln

Am Ende der Nahrungskette

Über 870 Tafeln gibt es in Deutschland - Tendenz steigend. Mehr als eine Million Menschen erhalten dort täglich gegen einen geringen Obolus gespendete Lebensmittel. Doch viele Tafeln tun weit mehr, als Brot, Obst oder Gemüse auszugeben.

Autor/in:
Dirk Baas
 (DR)

Sie bieten etwa Kochkurse an oder betreiben Jugendrestaurants. Am Samstag (2.10.2010) beim vierten bundesweiten Tafel-Tag rücken die Helfer das Thema Armut in die Öffentlichkeit und werben für ihr soziales Engagement.



"Unser Auftrag kann nicht länger allein darin liegen, Bedürftige mit gespendeten Lebensmitteln zu versorgen. Wir müssen weg von der reinen Armenversorgung", sagt Sabine Werth, Vorsitzende der Tafel und 1993 Gründerin der ersten Einrichtung dieser Art in Deutschland. Sie will deshalb mit ihren Helfern die Kinder- und Jugendarbeit weiter ausbauen und alle sozialen Schichten erreichen.



Im "Centre Talma" in Berlin-Reinickendorf hat die Zukunft der Tafel bereits begonnen: Im Kinderrestaurant "Talmarant" können junge Gäste ausgewogene Ernährung kennenlernen. Für einen Euro gibt es ein 3-Gänge-Menü, ein Getränk inklusive. Eingeladen seien "alle Kinder und Jugendlichen, ganz gleich welcher Herkunft, egal ob arm oder reich", wirbt die Homepage.



Zugleich sollen Esskultur und Tischsitten vermittelt werden, die angesichts von "Fingerfood, Dönerbuden und Fastfoodketten mitunter auf der Strecke bleiben". Einen ähnlichen Ansatz verfolgt seit 2004 das Restaurant "Fünf Jahreszeiten", das die Tafel in Kreuzberg betreibt.



Ganz neue Wege gehen die Berliner seit April mit dem "KIMBAmobil". Der Doppeldeckerbus, ausgestattet mit moderner Küchentechnik, fährt Schulen und Jugendeinrichtungen an. Das Konzept: Junge Menschen bereiten unter professioneller Anleitung ihr Essen gemeinsam zu. Laut Tafel-Chefin Werth wird das Projekt begeistert aufgenommen: "Der Bus ist bis Ende des Jahres ausgebucht."



"Der Bedarf an Tafel-Angeboten wird zunehmen"

"Mit gesunder Ernährung, vor allem für Kinder, beschäftigen wir uns schon lange. Da gibt es bereits viele erfolgreiche Angebote", bestätigt Gerd Häuser, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafel. Weitergehende Hilfen sieht er indes mit Skepsis. Ein solches Engagement sei nur realistisch in Verbindung mit den Sozialverbänden. "Da lässt sich soziale Arbeit gut vernetzen." Häuser gibt sich keinen Illusionen hin: "Der Bedarf an Tafel-Angeboten wird zunehmen."



Davon geht auch Manfred Baasner aus. Der nimmermüde Macher der Wattenscheider Tafel vertritt einen weitgefassten Hilfeansatz: "Wir sprechen mit den Menschen, hören ihnen zu und nehmen Anteil", sagt das Mitglied des Tafel-Bundesvorstandes, dessen im Jahr 2000 gegründete Einrichtung heute mit über 400 Helfern in Wattenscheid und Bochum ein breites soziales Feld bestellt.



Das Tabu-Thema Kinderarmut packten die Wattenscheider auf ihre Art an. Sie ersannen die Initiative "Vitaminreiches Frühstück", bei dem Obst und Gemüse einfach aus der Hand gegessen wird. Heute erhalten 64 Kitas und 26 Schulen die frischen Waren von der Tafel oder holen sich die Lebensmittel ab und bereiten ihre Pausensnacks selbst zu.



Mehr als 40.000 ehrenamtliche Tafel-Helfer bundesweit bringen "den Überfluss unserer Gesellschaft dahin, wo er hingehört", sagt Baasner. Doch unumstritten ist das Engagement nicht. Der Arzt und Sozialwissenschaftler Gerhard Trabert nennt das Versorgungskonzept höchst problematisch. "Es kann nicht sein, dass Menschen auf diese Dienste angewiesen sind, um in unserer reichen Gesellschaft zu überleben", kritisiert der Professor der Wiesbadener Hochschule RheinMain dem epd. Der Staat dürfe nicht aus seiner Verantwortung für die Armen entlassen werden.