Katholische Kirche sorgt sich um Menschenrechte in Indien

Den Rechtlosen eine Stimme

Zum Auftakt der bundesweiten Kampagne zum «Monat der Weltmission» hat das katholische Hilfswerk missio zu Solidarität mit Menschen in Indien aufgerufen. Ein Viertel der Inder muss mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen - und lebt damit unter der Armutsgrenze.

Autor/in:
Anja Kordik
 (DR)

Drei Jahre hat Namrata Joseph im indischen Bihar unter den sogenannten Dalits gewohnt und gearbeitet, den "Unberührbaren". In dieser Zeit konnte die Ordensschwester beobachten, wie rechtlos die Angehörigen dieser untersten Kaste sind, besonders die Frauen: "Ich habe erlebt, wie Frauen Misshandlungen und Belästigungen von Männern ausgesetzt waren, ohne sich irgendwie wehren zu können." Frauen in Indien hätten überhaupt keinen Einfluss, keine Stimme und würden von Geburt an als minderwertig gelten. "Diese Erfahrungen haben mich tief getroffen, und ich wollte gegen die aussichtslose Situation der vielen Frauen ankämpfen."



Die Franziskaner-Klarissin machte eine Ausbildung zur Anwältin und kämpft nun mit anderen Ordensfrauen aus verschiedenen Kongregationen für die Rechte von Frauen in Indien. Für ihr Anliegen macht sich nun auch die katholische Kirche in Deutschland stark. Das kirchliche Hilfswerk missio rückt im Oktober, dem kirchlichen Monat der Weltmission, die Menschenrechtsverletzungen in Indien in den Mittelpunkt. Anlass ist der 100. Geburtstag der Friedensnobelpreisträgerin und Ordensfrau Mutter Teresa, die sich in Indien der armen und benachteiligten Menschen annahm. Die bundesweite Kampagne unter dem Motto "Geh und handle genauso" wird am Sonntag durch Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck eröffnet.



Auf den Spuren Mutter Teresas

Namrata Joseph ist eine von rund 90.000 Ordensschwestern, die auf dem Subkontinent in den Bereichen Bildung, Gesundheitsvorsorge und Förderung von Frauen und Mädchen arbeiten. Aus einer christlichen Familie im südindischen Kerala stammend, wollte sie so wie Mutter Teresa möglichst nahe bei den Armen, Ausgegrenzten und Entrechteten leben. Mit dem Einverständnis ihrer Oberin absolvierte sie ein Studium der Rechtswissenschaften. Heute hat die Schwester in ihrem Kloster in der Region Rampur, wo sie seit zwei Jahren lebt, ein kleines Büro. Sie berät dort Frauen in Fällen häuslicher Gewalt, darunter Hausangestellte, die von ihren Arbeitgebern misshandelt und ausgebeutet werden.



Schwester Namrata leistet aber auch Aufklärungsarbeit, geht in Dörfer und Slums größerer Städte, um besonders Frauen aus ärmeren Schichten zu versammeln und über ihre Rechte aufzuklären. Ein schwieriges Unterfangen. Denn die Männer versuchten oft zu verhindern, dass ihre Frauen an diesen Treffen teilnehmen. "Zweimal ist es passiert, dass mein Leben bedroht wurde. Ehemänner haben mich auch schon bei staatlichen Behörden verklagt", berichtet die Ordensfrau. Trotzdem nimmt sie alle Risiken in Kauf. Ihre größte Motivation ist es, einem Menschen vor Gericht Recht zu verschaffen.



Gewalt in Indien betrifft auch religiöse Minderheiten, gerade auch Christen. So kam es in der Region Orissa Weihnachten 2007 zum ersten Mal und dann erneut im August 2008 zu massiven Ausschreitungen der Hindu-Bevölkerung gegen Christen - ganze Dörfer wurden zum Teil fast völlig zerstört. Otmar Oehring, Leiter der Fachstelle für Menschenrechtsfragen bei missio, unternahm in den letzten 15 Monaten drei Reisen nach Gujarat und Orissa.



Durch Ausgrenzung gekennzeichnet

Aktuell sei die Lage in der Unruheregion durch Ausgrenzung gekennzeichnet, so der missio-Experte. "Das heißt, dass die durch die Ausschreitungen betroffenen Familien nicht in ihre Dörfer zurückkönnen, ihre Häuser verloren haben und ihre Felder nicht bewirtschaften können." Den Kindern werde der Schulbesuch in den Heimatdörfern verweigert. Bei den Hindus sei in Gesprächen oft so etwas wie Scham und Angst festzustellen, denn viele hätten unter dem Druck hindu-nationalistischer Führer an den Ausschreitungen teilgenommen.



Eigentlich seien Grundrechte wie Religionsfreiheit von der säkularen Verfassung Indiens garantiert, betont Oehring. Dennoch gebe es noch vielfältige Menschenrechtsverletzungen auf dem Subkontinent: "Es wird noch ein langer Weg sein und auch ein hohes Maß an Sensibilität und Kompetenz gegenüber den kulturellen Traditionen des Landes brauchen, um die Situation in Indien zu verbessern."