Kölner Pfarrer Franz Meurer zu neuen Hartz-IV-Plänen

Bildungspaket kann zum Glücksfall werden

"Das Bildungspaket kann nur wirksam werden, wenn es vor Ort vernetzt wird", das sagt Pfarrer Franz Meuerer. Union und FDP hatten im Koalitionsausschuss am Sonntag vereinbart, dass Kinder in Hartz-IV-Familien zusätzliche Sachleistungen für Bildung und Freizeit bekommen sollen. Der Regelsatz für Kinder aus Hartz-IV-Familien bleibt jedoch gleich, während der Satz für Erwachsene im kommenden Jahr um fünf Euro auf 364 Euro steigen soll. Pfarrer Meurer lebt und arbeitet in einem sozialen Brennpunkt von Köln. Er hat mit einem höheren Regelsatz für Hartz-IV-Familien gerechnet, dennoch bewertete er das geplante Bildungspaket für Kinder im domradio.de-Interview als "Glücksfall".

 (DR)

domradio: Herr Pfarrer Meurer, reichen diese fünf Euro mehr aus?



Pfarrer Meurer: Ich selber habe mit 14 Euro gerechnet, aber diese ganzen Berechnungen sind ja hinfällig. Es sollte ja das, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, gemacht werden - nämlich eine ordentliche Berechnungsgrundlage. Viel besser und ein wunderbares Glück ist es, das es jetzt endlich die Möglichkeit gibt, zusätzlich zu diesen Geldleistungen auch Sachleistungen zu finanzieren. Dass die Kinder zum Beispiel Mittagessen bekommen, ist unglaublich wichtig oder dass ein Besuch im Zoo möglich wird, dass Nachhilfe möglich wird. Wir machen hier natürlich Nachhilfe ehrenamtlich, aber wenn es möglich würde, jemanden anzustellen, der den Ehrenamtlichen hilft, dass sie ordentlich unterrichten, das wäre natürlich wunderbar. Und wenn da ab und zu ein richtig begabtes Kind auch eine gute Lehrerin für den Musikunterricht bekäme, das wäre doch toll.



domradio: Sie arbeiten an der Basis in den Stadtteilen Höhenberg und Vingst, auch "Hövi-Land" in Köln genannt, wie haben denn dort die Menschen auf die neuen Beschlüsse reagiert?



Pfarrer Meuerer: Ein paar sind natürlich enttäuscht, das ist überhaupt keine Frage, aber wenn man denen dann erklärt, der große Vorteil ist, dass die Kinder besonders gefördert werden, dann sagen sie "Ach so". Es gibt also auch etwas, was für die Kinder einen Glückfall bedeutet, dann hält sich natürlich deren Miene auch auf. Für uns ist ja der Gedanke besonders wichtig, man kann nur vor Ort, im Viertel durch gemeinsames Handeln die Kinder nach vorne bringen. Das Hauptproblem von Hartz-IV ist ja, die Familie kommen damit aus, wenn die Eltern noch die Chance sehen, noch in Arbeit zu kommen und in dem Moment, wo sie begreifen, ich komme nie mehr in Arbeit - ja, dann ist doch klar, da ist die Verwahrlosung vorprogrammiert!



domradio: Ist das Bildungspaket der Regierung denn jetzt ausreichend?



Pfarrer Meurer: Das Bildungspaket kann ja nur wirksam werden, wenn es vor Ort vernetzt wird. Zum Beispiel waren bei uns am vorigen Samstag 30 Leute im Theater, aber da gehen die natürlich nur hin, wenn man die Karte geschenkt bekommt, das wäre das Bildungspaket, aber dann muss man auch gemeinsam hinfahren, da muss man auch motivieren, danach gehen wir noch ein Bier trinken. Man muss einfach das machen, was jede normale Familie auch tut, manchmal ist ein Ausflug dran, manchmal ist Bildung dran und manchmal ist auch etwas Anstrengendes dran, dass wir uns für andere und mit anderen sozial engagieren. Wir haben hier ja auch jeden Tag zehn bis zwölf Hartz-IV-Leute arbeiten, die meisten bleiben nach Auslaufen ihres Hartz-IV-Kurses, der dauert etwa ein halbes Jahr, die meisten davon bleiben nach Auslaufen des Kurses danach ehrenamtlich, die haben also kapiert, wenn wir unser Viertel schön halten, dann ist das etwas, was alle erbaut. Zum Beispiel werden jetzt im Advent 40 Tannenbäume aufgestellt, die die Kindergärten und Schulen dann schmücken und alle Leute sagen, es ist wunderbar hier zu wohnen.



domradio: Das heißt im Kleinen kann man immer etwas tun, aber dennoch gibt es bei einigen Arbeitslosen eine Hoffnungslosigkeit, die einige empfinden, weil sie keinen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt mehr finden, welche Lösungen sehen Sie denn da langfristig? Wer ist denn da in der Pflicht?



Pfarrer Meurer: Es gibt langfristig nur zwei Möglichkeiten: Entweder es gibt einen dritten Arbeitsmarkt, dass man die Menschen z.B. Förderschüler, Hauptschüler, die ja kaum eine Chance haben, im richtigen Arbeitsleben haben, dass man die beteiligt, dass wir also Bürgerarbeit machen, was ja auch zur zeit versuchsweise läuft in der Bundesrepublik oder dass die Wirtschaft begreift, sie muss eben auch in ihren Bereichen einfache Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. ich wurde vor fünf sechs jahren immer ausgelacht, wenn ich gesagt habe, die Kehrmaschine davorne bedeutet sechs Arbeitsplätze von Kehrmännern und -frauen, die weg sind. Da haben die Leute gesagt: "Du bist ja jeck". Inzwischen gibt es wieder Menschen, die sagen, ja, das ist positiv konservativ, wir müssen entschleunigen, wir müssen beteiligen. Zuwendung ist besser. Bildung und Lernen geht niemals ohne Zuwendung! Wenn derjenige der lernt nicht versteht, ich bin geliebt, ist Lernen unmöglich.