Die Vatikanbibliothek öffnet nach dreijähriger Renovierung

Kann denn Lesen Sünde sein?

Zwei antike korinthische Kapitelle empfangen den Besucher am Eingang der Vatikanischen Bibliothek - und zwei blitzneue Detektor-Schranken. An ihnen entscheidet sich, wer die ehrwürdigen Hallen des Wissens betreten darf: nur, wer über einen elektronischen Ausweis mit Sender-Chip verfügt. Die sicherheitstechnologische Aufrüstung ist die vielleicht augenfälligste Maßnahme der jüngsten Bibliotheksrenovierung, die mit der Wiedereröffnung am Montag offiziell endet.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Drei Jahre war die Bibliothek der Päpste komplett geschlossen - ein "historischer" Umstand laut Vatikan. Immerhin war sie vorher rund 500 Jahre in Betrieb. Außerdem handelt es sich nicht um eine bessere Diözesanbücherei, sondern um die Schatzkammer des kulturellen Gedächtnisses des Abendlandes. Hier lagern neben einer Million gedruckter Bände, 8.400 frühen Drucken und 300.000 Münzen auch 75.000 Handschriften und Papyri - allesamt Einzelstücke und unersetzlich.



Ein Stöhnen ging deshalb durch die akademische Welt, als die Bibliothek im April 2007 überraschend die Einstellung des Besucherverkehrs ankündigte. Forschungsprojekte, die auf ein direktes Studium der Dokumente angewiesen waren, hingen plötzlich in der Luft. Kardinal Raffaele Farina, Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche, verteidigte den radikalen Schritt anlässlich der Neueröffnung noch einmal: Lärm und Staub der Renovierungsarbeiten hätten den laufenden Betrieb auf unzuträgliche Weise gestört, und mit der Sicherheit für Mensch und Material sei es teils auch nicht weit her gewesen.



Jetzt wurden Teile der Bestände und ein paar Büros ausgelagert; das hat die Statik entlastet und die Raumsituation entspannt. Elektrik und Klimatechnik kamen auf einen zeitgemäßen Stand, die Wände erhielten einen feuerresistenten und staubabweisenden Anstrich. Bibliotheksnutzer können nun im ganzen Gebäude drahtlos ins Internet, Fotolabor und Restaurierungswerkstätten sind größer und moderner geworden. Ein Aufzug wurde erneuert, ein zweiter ohne allzu große denkmalschützerische Skrupel im historischen Bibliothekshof angebaut.



Billig war die Aktion nicht. Farina sprach von "acht bis neun Millionen Euro", teilweise finanziert durch ein internes Umlagesystem, bei dem die Bibliothek Räume an die Vatikanischen Museen vermietet. Dazu kamen Sachleistungen von Sponsoren, allen voran der Baukonzern Italcementi. Neuerdings zeigt sich der Vatikan sehr offen für solche Partnerschaften. Dabei geriet ausgerechnet Italcementi 2008 ins Visier von Mafia-Ermittlern. Ein mit dem Konzern verknüpftes Unternehmen soll Großaufträge in Sizilien per Schmiergeld an Land gezogen und maroden Beton verbaut haben.



Zu den großen Neuerungen in der 1475 gegründeten Bibliothek gehört das Sicherheitskonzept: Videokameras wachen über Gängen und Sälen; Sensoren an den Ein- und Durchgängen registrieren, wer sich wo im Gebäude aufhält, und schlagen Alarm, wenn ein Stück seinen angestammten Raum verlässt. Das hat Gründe. Angeblich verschwanden in der Vergangenheit Bestände auf eine Weise, für die die gewöhnliche kriminelle Energie externer Nutzer nicht ausgereicht haben kann.



Die Renovierung ist vorbei, aber die Arbeiten gehen weiter. In einem nächsten Projekt soll der freskengeschmückte Salone Sistino, einst Herzstück der Einrichtung, wieder zu einem Lesesaal werden. Doch nur ein exklusiver Kreis wird ihn nutzen dürfen. Wer in die Bibliothek will, muss akademischen Lorbeer und einen wissenschaftlichen Grund vorweisen. Inzwischen hat auch eine Digitalisierung der Handschriftenbestände begonnen. In Zukunft erhalten Forscher die Dokumente als Bilddatei per E-Mail. Dann ruhen die kostbaren Pergamente, die brüchigen Papyri noch ungestörter im unterirdischen Magazin, perfekt klimatisiert bei 20 Grad und 50 Prozent Luftfeuchte.



Auch im Internetzeitalter soll die Bibliothek "Schaufenster der Kirche für die gelehrte Welt" sein, wie Abteilungsleiter Adalbert Roth sagt. Ein positives Verhältnis zum Wissensdurst steht jedenfalls schon am Anfang ihrer Geschichte: Ein Fresko im Saal Sixtus" V. zeigt Stammvater Adam mit dem Apfel vom Baum der Erkenntnis in der Hand. Die Inschrift darunter würdigt ihn als "ersten Erfinder der Wissenschaft".