Publizist Ginzel verteidigt Bartoszewski

"Er ist der große Mittler"

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach provoziert wieder. Sie sagte, Polens Deutschland-Beauftragter Wladyslaw Bartoszewski habe einen "schlechten Charakter". Dagegen kontert der Publizist Günter Ginzel.

Günther B. Ginzel (KNA)
Günther B. Ginzel / ( KNA )

domradio.de: Sie haben Wladyslaw Bartoszewski einmal als "Vulkan" bezeichnet. Wie haben Sie das gemeint?

Bernd Ginzel: Er ist ein Vulkan. Er ist immer voller Leidenschaft und Explosivität. Er trägt sozusagen sein Denken und Fühlen auf der Zunge, und es ehrt ihn, dass das zu seiner Geradlinigkeit gehört. Ich habe ihn in der kommunistischen Zeit kennengelernt, als man von Solidarität und Solidarnosc noch nicht reden und denken konnte. Damals hatte er große Probleme mit den Kommunisten, er hatte ein Ausreiseverbot.



Ich habe ihn zuhause kennengelernt und ich werde nie vergessen, wie ich leicht eingeschüchtert vor dem Generalsekretär des polnischen P.E.N.-Clubs an seiner Tür stand. Er hieß mich in seiner Vulkanart willkommen: "Herr Ginzel! Kommen Sie herein! Ja, wunderbar!" Man kennt ihn ja - es ist fantastisch. Und dann als erstes sagte er: "Und jetzt passen Sie mal auf! Jetzt stellen wir fest, dass der Kommunismus eine Sauerei ist und die Kommunisten in Polen ganz besonders große Schweine. Und wissen Sie: Jetzt können wir uns in Ruhe unterhalten. Jetzt hat der Geheimdienst seine Notizen gemacht und jetzt werden die uns nicht weiter abhören, jetzt können die Jungs weiter schlafen."



domradio.de: Sie erlebten Wladyslaw Bartoszewski also als sehr impulsiven, sehr ehrlichen, aufrichtigen Menschen, der Klartext redet?

Ginzel: Ja, und der eine ungeheure politische und moralische Bedeutung hat für das Zusammenleben von Christen, Juden, Polen, Deutschen, Israelis. Wladyslaw Bartoszewski ist einer der wenigen Menschen, die sich in Polen in der Nazizeit engagiert haben, der nicht nur Mitgefühl entwickelt hat, der nicht "nur" irgendwelche Verfolgte versteckt hat, sondern Bartoszewski hat eine katholische Untergrundorganisation zum Zwecke der Unterstützung der verfolgten Juden im Warschauer Ghetto gegründet.



Er ist mehr als einmal unter größter Lebensgefahr mit Hilfsgütern ins Ghetto gegangen, um die Menschen dort nicht alleinzulassen. Das ist etwas, das in dem langen Gedächtnis des Judentums eingemeißelt ist, er ist offiziell als einer der Gerechten unter den Völkern ausgezeichnet worden. Und in dem unendlich schwierigen Verhältnis zwischen polnischen Juden und Polen, dem Gefühl der polnischen Juden, dass sie in der Nazizeit verlassen und von zu vielen Polen verraten worden sind, ist er der großer Mittler, jemand, der anerkannt ist. Jemand, dem man blind vertraut.



Und genauso habe ich ihn in Bezug auf Deutschland erlebt. Er, der dann von den Nazis verhaftet wurde, der ins KZ kam, der alles Elend und Leid miterlebt hat, nicht nur angesehen, sondern miterlebt. Er empfing dann mit der größten Bereitschaft einen jungen deutschen Journalisten. Er setzte auf die Aussöhnung v.a. der Jugend. Das war sein großes Programm: Die Nazis dürfen nicht Recht behalten. Wir müssen zusammenkommen und Polen gehört zu Westeuropa und Deutschland und Polen müssen Freunde werden. Das war schon damals, in einer Zeit, in der man von so etwas noch gar nicht zu träumen wagte, sein Programm. Für das hat er immer gestritten.



domradio.de: Sie haben sogar schon einmal eine Solidaritätsaktion für Wladyslaw Batoszewski organisiert?

Ginzel: Ja. Das war, als er vorhaftet wurde - diesmal von den Kommunisten im Kontext der Gründung der Solidaritätsbewegung, der Gewerkschaft Solidarnosc. Die Kommunisten haben ja verzweifelt versucht, diese Bewegung kaputtzumachen. Das war bezeichnend für diese Kommunisten und die Weiterführung der alten völkisch-antisemitischen Tradition durch die Roten Barone: Die haben Bartoszewski und andere führende Solidarnosc-Leute in Flugblättern, die z.T. aus Flugzeugen abgeworfen wurden, als antipolnisch und als Juden bezeichnet. Da hieß es dann plötzlich: Gute Polen, seid Kommunisten, seid gegen die Solidarität, seid gegen die katholische Kirche. Und so ein Typ wie Bartoszewski wurde als Rädelsführer angeprangert und verhaftet.



Es war für mich eine große Genugtuung, dass wir hier in Köln sofort auf der Basis des Bistums eine Solidaritätsaktion zu seiner Freilassung initiieren konnten. Er ist dann auch sehr bald über das katholische Bildungswerk nach Köln eingeladen worden. Und zu Frau Steinbach: Diese Erklärung, die nicht in der Spontaneität, in der Hektik, in der Aufregung irgendeiner kontroversen Debatte gefallen ist, sondern kalten Blutes und überlegt, ist eine Perfidie und muss im Grunde genommen das politische Aus für diese Frau sein, die in meinen Augen die Karikatur des Oberfeldwebels abgibt, die in inzwischen nicht nur Deutschland, sondern auch den Vertriebenen schadet, indem sie sie wie einen Haufen Reaktionärer aussehen lässt. Sie kann doch nicht einfach vergessen, dass viel zu viele, auch Vertriebene, viel zu begeistert die Nazis empfangen und unterstützt haben. Da gab es unsägliches Leid.



Das Interview führte Tommy Millhome.

Quelle:
DR