30 Jahre Alternativer Nobelpreis

Auf Kurswechsel

Der Alternative Nobelpreis feiert sein 30-jähriges Bestehen zur Zeit mit einem Diskussionstreffen in Bonn. Aus Anlass des Jubiläums tagen unter dem Motto "Weiter wie gehabt? Kurswechseln in die Zukunft" noch bis Sonntag 80 Preisträger aus der ganzen Welt. Zu ihnen gehört die ukranische Journalistin Alla Yaroshinskaya - sie stellte nach der Tschernobyl-Katastrophe unbequeme Fragen.

Autor/in:
Veronika Schütz
 (DR)

Am 24. April 1986 um 1.23 Uhr ereignete sich in Tschernobyl die Katastrophe: Der schlimmste Störfall in einem Atomkraftwerk. Alle Welt blickte damals auf das Unglück in der Ukraine, außer die Ukraine selbst. Für ihre hartnäckige Aufklärungsarbeit hat die Journalistin Alla Yaroshinskaya den Alternativen Nobelpreis 1992 erhalten - sie ist damit eine von rund 80 Preisträgern.



Die Katastrophe in Tschernobyl brachte Krankheit und Kummer. Sie hinterließ karges Land und verstrahlte Erde. Die aufsteigende radioaktive Wolke verseuchte weiträumig die Region und zog in abgeschwächter Form auch über Nord- und Westeuropa hinweg. Schuld am Reaktorunglück war menschliches Versagen, erklärt die Journalistin Alla Yaroshinskaya.



Für ihre Aufklärungsarbeit im Zusammenhang mit der Katastrophe wurde die 57-Jährige 1992 mit dem Alternativen Nobelpreis, dem "Right Livelihood Award", ausgezeichnet. Derzeit wird in Bonn das 30-jährige Bestehen des seit 1980 verliehenen Preises gefeiert. Das Engagement der kritischen Chronistin von Tschernobyl ist nicht nur aller Ehren wert, sondern hört sich stellenweise wie ein Kriminalstück an.



Bereits wenige Wochen nach der Explosion in dem Kernkraftwerk schrieb die Journalistin gegen die Vernebelungstaktik der Behörden an - zu einem Zeitpunkt als kritische Berichterstattung in der damaligen Sowjetunion so gut wie unmöglich war. Der enge Bezug zum Thema ergab sich schon allein aus der räumlichen Nähe: Die damals 33-Jährige war in einer Redaktion nur 70 Kilometer von Tschernobyl entfernt tätig. Sie wollte wissen, was genau passiert war - ebenso wie die Anwohner - und machte sich ein eigenes Bild von der Lage vor Ort.



Der von dem deutsch-schwedischen Journalisten begründete Preis wurde bislang an rund 140 Personen aus fast 60 Ländern verliehen, die beispielhaft auf die dringlichsten Herausforderungen der Menschheit antworten. Er ist mit umgerechnet rund 220.000 Euro dotiert. Zu den bisherigen Preisträgern zählen unter anderen der brasilianische Theologe Leonardo Boff und die Menschenrechtlerin Bianca Jagger.



Akribisch sammelte Alla Yaroshinskaya Proben, führte Interviews und Recherchen und verfasste schließlich mehrere Artikel zu dem Thema - die allesamt der Zensur zum Opfer fielen. In den Medien der damaligen Sowjetrepublik Ukraine wurde Tschernobyl auch Monate später als kleiner Störfall dargestellt, der die Gesundheit der Menschen in keiner Weise gefährdete. "Es gab die Weisung, nichts über Tschernobyl zu veröffentlichen", sagt Yaroshinskaya.



Ihr Engagement blieb gleichwohl nicht verborgen und führte sie schließlich in die Politik. Mit 90 Prozent der Stimmen wurde sie 1989 in den "Obersten Sowjet", das Parlament der UdSSR, gewählt und sicherte sich einen Sitz im Tschernobyl-Ausschuss. Dort bekam sie Einblick in die bis dahin streng geheimen Protokolle der verantwortlichen kommunistischen Parteikader. Ingesamt 40 Einzeldokumente in einem Umfang von rund 600 Seiten, galt es, in einer waghalsigen Nacht-und-Nebel-Aktion zu sichern.



Yaroshinskaya kopierte die Unterlagen, nahm die Originale an sich und legte die Abzüge zurück. Alles, um die Öffentlichkeit mit den wahren Hintergründen zu konfrontieren und sich gegen etwaige Verleumdungskampagnen ihrer Gegner abzusichern. "In der Sowjetunion konnte morgen schon wieder alles anders sein", begründet die Parlamentarierin ihre unorthodoxe Vorgehensweise, an deren Ende ihr erster veröffentlichter Artikel über das Reaktorunglück stand - mehr als drei Jahre nach Beginn ihrer Recherchen.



Weiterhin sind die Folgen des Super-GAUs nicht vollständig absehbar. In Europa, vor allem in den am meisten betroffenen Gebieten in Weißrussland und der Ukraine, sterben noch heute Unbeteiligte an den Folgeschäden von Tschernobyl. Vor allem die Krebs- und Kindersterblichkeitsraten steigen in den stark verstrahlten Gebieten explosionsartig an. Der medizinische Zustand der Kinder, die heute auf den verstrahlten Böden aufwachsen, ist erschreckend. Zudem werden die Folgen sich nicht auf die heutige Generation beschränken.



"Tschernobyl ist eine Katastrophe, die niemals endet", sagt Yaroshinskaya.