Jesuit Mertes schreibt Buch über Bildung und Schule

Vertrauen die Grundlage

Die Leiter zweier Jesuitenschulen, Klaus Mertes und Johannes Siebner, befassen sich in einem neuen Buch auch mit dem Thema sexueller Missbrauch an Schulen. Sie erläutern, wie Vertrauen verletzt werden kann, wo Missbrauch beginnt und wie dieser an Schulen verhindert werden muss. Im domradio-Interview stellt Mertes das Buch vor.

 (DR)

domradio.de: Obwohl es ein Buch über Schule und Schüler ist, schreiben sogar die Kollegen von der kath. Nachrichtenagentur über das Buch im Titel: Jesuit Mertes schreibt Buch über sexuellem Missbrauch an Schulen. Das soll es nicht sein - und ist es auch nicht, oder?

Klaus Mertes: Natürlich nicht! Ich habe noch ein paar andere Themen. Es ist eine Zusammenfassung dessen, was der Pater Siebner und ich schon seit vielen Jahren miteinander versuchen, um das Profil unserer jesuitischen und auch kirchlich geprägten Pädagogik zu verdeutlichen. Wir hatten das Buch schon im September / Oktober geplant, haben nun aus aktuellem Anlass aber auch die Missbrauchsthematik mit reflektiert und eingearbeitet. Aber die Wurzeln der Entstehung dieses Buches liegen zeitlich noch viel tiefer.



domradio.de: Sie haben auch lange überlegt, ob jetzt ein guter Zeitpunkt ist, dieses Buch herauszubringen - sind dann aber zu dem Schluss gekommen, dass es vielleicht gerade ein guter Zeitpunkt ist, öffentlich Rechenschaft abzugeben, wofür Jesuiten mit ignatianischer Erziehung und Bildung stehen. Warum ist jetzt ein guter Zeitpunkt?

Mertes: Erst einmal wegen der Missbrauchsfälle. Denn diese stellen ja auf ein ganz tiefgreifende Weise die jesuitische, aber auch die kirchliche, die katholische Pädagogik und Schulkonzeption in Frage. Wer meint, dass Missbräuche nur Taten von verirrten Einzeltätern wären, der übersieht ja auch den Kontext und den Zusammenhang, in dem Prävention geschehen muss. Und das ist ein zweiter Anlass: Ich glaube, dass Prävention nur möglich ist, wenn man Schule und Lehrer-Schüler-Beziehung ganz grundsätzlich durchdenkt. Und das tut dieses Buch. Insofern bringt die Missbrauchsdebatte einen zusätzlichen Anlass, über dieses Thema jetzt zu sprechen. Die anderen Anlässe, die es auch schon vorher gab, gehen dadurch ja nicht verloren.



domradio.de: Im Untertitel heißt das Buch: Warum Eltern keine Kunden und Lehrer keine Eltern sind. Damit antworten Sie auf die Debatte, dass Schule immer mehr erzieherische Aufgaben übernehmen soll. Muss Schule, müssen Lehrer das nicht?

Mertes: Der Hauptgedanke des Buches besteht darin, dass Schule nicht funktioniert, wenn sie sich nicht als Institution auch abgrenzt gegenüber Interessen und Anliegen, die zwar in sich legitim sind, die aber Schule gar nicht leisten kann oder sogar nicht darf. Bezüglich der Missbrauchsfälle heißt das: Schule ist z.B. kein Familienersatz. Da wo die Gemeinschaftsfunktion von Schule überschätzt wird, werden auch die Rollen unklar. Missbrauch ist ja nichts Anderes als eine völlige Verdrehung und Pervertierung von Rollen. Also muss die Rolle, die Schule hat und die sie nicht hat, auch grundsätzlich reflektiert werden. Das ist das Anliegen dieses Buches: Schule kann nicht alles leisten. Denn wenn sie alles leistet, dann wird sie totalitär.



domradio.de: Was ist Ihnen und Ihrem Mitbruder vom Kolleg St. Blasien denn wichtig? Wofür steht denn ignatianische Erziehung und Bildung - also Erziehung nach Ignatius von Loyola, dem Gründer der Jesuiten?

Mertes: Das kommt im Titel am schönsten zum Ausdruck: Schule ist für Schüler da, d.h. die Schüler haben eine Würde, die liegt in ihrem gottgegebenen Menschsein begründet. Deswegen hat die Schule den Zweck, den Schülern und ihrer Würde zu dienen. Und Bildung ist Dienst an der Würde von Menschen. Und die sollen ihrerseits nicht wiederum andere außerbildungsmäßige Zwecke bedienen, z.B. ein möglichst gutes Abschneiden in internationalen Rankings, Förderung des Standorts Deutschland, Rekrutierung von Nachwuchs für Kirche oder Politik - das sind zwar alles legitime Anliegen, aber das ist nicht der Grund, weswegen Schule besteht. Schule macht man deswegen, weil es ein Dienst an der Menschenwürde der Jugendlichen ist. Das ist das Grundanliegen, um das es geht. Schule muss eben auch diese Dimension der eigenen Würde, der Selbstzwecklichkeit von Schülern in der Schule den Schülern bewusst und erfahrbar machen. Das ist unser zentrales Anliegen.



domradio.de: Wie gelingt Schule - für Eltern, Lehrer und Schüler - das fragen sich viele, viele Menschen ernsthaft und aufrichtig: Eine Ihrer Schlüsselantworten im Buch ist: Schule braucht Vertrauen. Warum?

Mertes: Weil die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern nur gelingen kann, wenn sie in einer persönlichen Begegnung geschieht, die auf Vertrauen gegründet ist. Natürlich wird auch in der Lehrer-Schüler-Beziehung viel Vertrauen verletzt. Übrigens vertrauen ja auch Eltern der Schule, wenn sie ihre Kinder in die Hände von Lehrern und Schule hineingeben. Also auch die Eltern setzen ja diesen Vertrauensakt. Natürlich wird in der Schule viel Vertrauen verletzt, aber diese Verletzungsgeschichten können kein Grund sein, wieder neu Vertrauen zu investieren. Die Alternative, dass Schule immer mehr zu einem Kontrollsystem wird, das versucht über Kontrolle Vertrauen zu ersetzen, bedeutet, dass wir in einem totalitären System angelangt sind. Verschulte Gesellschaften sind im Kern immer totalitäre Gesellschaften und umgekehrt.



domradio.de: Für wen ist das Buch, das Sie geschrieben haben?

Mertes: Das Buch ist v.a. für Menschen, die konkret mit Schule zu tun haben, also Lehrer und Lehrerinnen, für Eltern und für die in der Politik für Schulkonzeptionen Verantwortlichen. Denn das was zur Zeit an Schulkonzeption und Reflektionsniveau über Schule und Schüler-Lehrer-Beziehung in der Politik für mich sichtbar wird, ist auf erschreckend niedrigem Niveau.



Hinweis: Das Buch "Schule ist für Schüler da. Warum Eltern keine Kunden und Lehrer keine Eltern sind" von Klaus Mertes und Johannes Siebner erscheint am 13. September im Herder-Verlag und kostet 14,95.