Regisseur Veit Güssow zum Gespräch von Kirche und Theater

«Bitte nicht theatern»

Der Münchener Regisseur Veit Güssow hat Dialogbemühungen der katholischen Kirche mit Kulturschaffenden begrüßt.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Dabei müsse es aber um eine ernsthafte Auseinandersetzung jenseits vorgeprägter Klischees gehen, sagte der promovierte Theaterwissenschaftler am Wochenende der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Weingarten. Mit Blick auf Gottesdienstfeiern mahnte er, Kirche dürfe nicht «theatern». Im oberschwäbischen Weingarten erarbeitete der 32-Jährige bei einem am Samstag zu Ende gegangenen dreitägigen Theater-Werkstattgespräch der katholischen Kirche eine Version seiner Inszenierung von Tankred Dorsts Drama «Ich, Feuerbach», die derzeit am Bayerischen Staatsschauspiel gezeigt wird.

KNA: Herr Güssow, wie bewerten Sie nach den Erfahrungen dieser Tage das Verhältnis von Kirche und Theater?

Güssow: Für mich bleibt es weiterhin wesentlich, dass es sich der Sache nach um zwei grundverschiedene Dinge handelt. Das kam in den Diskussionen insbesondere durch die klare Haltung vieler Kirchenvertreter deutlich raus. Wenn man einen Gottesdienst und eine Theateraufführung vergleicht, passieren Ähnlichkeiten überwiegend auf der phänomenologischen Ebene. Da aber gibt es dann viel Interessantes zu entdecken. Ich persönlich habe einige spannende Gedankenanstöße bekommen, was den Aufführungs- und speziell Nicht-Aufführungscharakter der Feier der Liturgie anbelangt. Hier kannte ich mich vorher nicht sehr aus und habe etliche neue Dinge erfahren. Und ganz konkret: Den prächtigen Abschlussgottesdienst empfand ich als sehr beeindruckend.

KNA: Inwiefern?

Güssow: Von der gesamten Inszenierung her: Musik und Orgel, Chöre und auch Tanz, das In-Szene-setzen der Malerei durch das Sonnenlicht, die Gewänder, salopp gesagt also Kostüme, der Weihrauch. Wie selten wird im Theater Geruch mit eingebaut! Auch wenn eine Messe keine Theateraufführung ist, weil sie einen ganz anderen Inhalt hat, so war die Festlichkeit des Gottesdienstes doch auch als ästhetisches Erleben sehr beeindruckend. Der Umgang mit der Reliquie, die am Ende des Gottesdienstes aus dem Altar herausgenommen und dem Volk gezeigt wurde, hatte ein Pathos, das nicht hohl erschien. Das fand ich, ehrlich gesagt, ganz erstaunlich. Das abzubilden, bekäme man im Theater nicht hin.

KNA: Es ging bei der Tagung häufig um Inszenierung, Choreographie, Dramaturgie, um die Identität des Schauspielers. Wo kann Kirche da von der Theaterwelt lernen? Wo sollte sie es auch bleiben lassen?

Güssow: Bei einem spätabendlichen Gespräch mit einem der Kirchenvertreter kamen wir auf einen Punkt, den ich sehr interessant fand: Schauspieler mit großartiger Ausstrahlung schaffen das Paradox, - das ist jetzt nach einem Zitat von Ulrich Matthes - von ihrer Rolle zu erzählen und gleichzeitig auch von sich selbst. Es ist vielleicht die Faszination herausragender Schauspieler, dass bei ihnen beides präsent ist: die Rolle und ihre Persönlichkeit. Das wäre ein Ansatzpunkt, der vielleicht zur Betrachtung von Predigten spannend sein könnte.

KNA: Der Priester könnte also mehr vom Schauspieler lernen als deutliche Aussprache und Akzentuierung?

Güssow: Ja und Nein. Der Priester ist kein Schauspieler. Das sollte er auch gar nicht wollen. Er spielt eben gerade nicht eine Rolle. Aber er schreibt seine Überzeugungen auch nicht einfach hin, sondern führt sie - in bestimmter Hinsicht - auch auf. Vielleicht besteht hier ein Berührungspunkt mit jenen Schauspielern, die ich eben beschrieb: Es ist möglich, dass der Priester seine Persönlichkeit einbringt, ohne dass er sich damit selbst zur Schau stellt. Denn auch in der starren Form der Liturgie kann Persönlichkeit durchscheinen. Der Priester muss glaubwürdig sein, aber nicht schauspielern - es ist schon im Theater schrecklich, wenn es theatert, dann soll es bitte in der Kirche erst recht nicht theatern. Die Ehrlichkeit nicht nur in der inneren Haltung zu erreichen - hierfür ist wohl die Kirche selbst unbestrittener Experte -, sondern auch im Ausdruck der Haltung, da besteht sicherlich zuweilen Bedarf. Vielleicht auch in der Ausbildung.

KNA: Es war für die Kirche ein weiter Weg bis zum Gespräch mit Theaterleuten. Der Austausch mit Lyrikern oder Architekten, Filmemachern oder Musikern erfolgte viel früher. Wie wichtig ist dieser Austausch von Kirche und wichtigen Akteuren des Kulturbereichs?

Güssow: Wenn die Kirche sich in den Debatten der Kunst- und Kulturszene einmischen will, muss sie sich damit ernsthaft auseinandersetzen. Davon können alle Beteiligten etwas haben. Im Kulturalltag treffe ich in vielen Diskussionen und Kontroversen - zum Beispiel um das sogenannte Regietheater - häufig auf ungutes Halbwissen, auf Klischees und Vorurteile. Es werden Worte wie "respektlos" inflationär häufig aus subjektiven Urteilen heraus ernsthaften Künstlern entgegen geschleudert. Religiöse Menschen - oder besser: religiös sensible Menschen - machen sich sicher mehr Gedanken über existenzielle und moralische Fragen und äußern dann auch häufiger Kritik. Das ist im Prinzip nicht verkehrt, ja wünschenswert, verlangt aber die Bereitschaft zur wirklichen Auseinandersetzung. Wenn die Kirche kulturpolitisch oder kultur- und theatertheoretisch Standpunkt beziehen will, muss sie das Gespräch suchen und Offenheit zeigen. Dafür war diese Veranstaltung hier ein wunderbares Beispiel mit konstruktiven Gesprächen und ernsthaften Diskussionen ohne Anbiederung.