Gedenkfeier am Welttag für Suizidopfer

Das Unaussprechliche aussprechen können

Weltweit sterben jährlich mehr als eine Million Menschen durch eigene Hand, in Deutschland waren es 2008 - aktuellere Daten gibt es noch nicht - 9.451 Personen, davon mindestens doppelt so viele Männer wie Frauen. Die Zahl der Suizidversuche wird auf das Zehnfache geschätzt.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
 (DR)

Nach dem Suizid von Nationaltorwart Robert Enke im November 2009 beherrschte das Thema Talkshows und Schlagzeilen. Wie nachhaltig der offene Umgang von Enkes Witwe Teresa mit der psychischen Erkrankung ihres Mannes und das öffentliche Werben um sensiblere Behandlung des Themas Selbsttötung gewirkt haben, lässt sich freilich nicht ermessen. "Immerhin kommen jetzt, wenn man "Suizid" googelt, wesentlich mehr Treffer", sagt der Psychologe Georg Fiedler, der die zentrale Veranstaltung zum Welttag der Suizidprävention am 10. September mit vorbereitet. Erstmals findet sie in Hamburg statt und erstmals in Form einer interreligiösen Gedenkfeier.



Exakte Erhebungen über die Zahl der Suizidversuche sind schwierig, da Selbsttötung noch immer ein Tabuthema ist. Für Wissenschaftler, Mediziner, Psychologen, Angehörige und Seelsorger gilt es nach wie vor, "dicke Bretter zu bohren", wie Fiedler, Sekretär des Nationalen Suizid-Präventionsprogramm und Psychologe am Therapiezentrum für Suizidgefährdete am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, betont.



Dazu zählt auch eine sensible Sprache. "Wer sich das Leben nimmt, begeht keine strafrechtlich kriminelle Handlung, schon gar keinen Mord", wendet sich Fiedler gegen den gängigen Begriff "Selbstmord". Ebenso sei ein Suizidopfer meist gefangen in der eigenen Not und kaum in der Lage, eine freie Entscheidung zu treffen, weshalb sich auch der Terminus "Freitod" verbiete. Deshalb plädiert etwa der Zusammenschluss "Angehörige um Suizid" (AGUS) dafür, von Suizid, Selbsttötung oder "sich das Leben nehmen" zu sprechen.



Kirchen: "Wir haben da einiges nachzuholen"

AGUS-Mitglied Christiane Blömeke hat selbst die schmerzliche Erfahrung gemacht. Vor zwei Jahren nahm sich ihr Mann das Leben. Zwar befand er sich wegen Depressionen in Therapie, doch habe er häufig die Krankheit verdrängt. "Ich wünschte, meine drei Kinder und ich wären auch in die Therapie mit einbezogen worden. Wir wussten doch oft viel besser, wie es ihm geht", sagt Blömeke. Neben den ewigen Fragen nach dem Warum und den Schuldgefühlen, von denen Angehörige nach dem Suizid eines geliebten Menschen gequält seien, stelle auch die Reaktion der Umgebung eine Belastung dar. "Wenn ich auf die Frage, woran denn mein Mann gestorben sei, mit der Wahrheit antworte, verstummen viele und lassen mich stehen", berichtet Blömeke. Viel lieber würde sie offen über diesen Tod sprechen, der nach gesellschaftlicher Meinung vermeidbar und deshalb unstatthaft ist. "Wenn ich "das Unaussprechliche" verschweigen muss, gewinnt es Macht über mich."



Auch die Kirchen behandelten das Thema Suizid jahrhundertelang als Tabu, räumt Pröpstin Kirsten Fehrs ein. Kaum vorstellbar sei es heute, dass "Selbstmörder" einst nicht auf christlichen Friedhöfen bestattet werden durften. "Wir haben da einiges nachzuholen." Institutionell, findet die Hauptpastorin, seien eindeutig die Kirchen zuständig, sich um Trauernde zu kümmern. Und so findet in diesem Jahr in der Hauptkirche Sankt Jacobi am Freitag um 17 Uhr eine Gedenkfeier statt, in der nicht nur der 217 Hamburger Suizidopfer des letzten Jahres, sondern aller von dieser Todesart Betroffenen gedacht wird. Fehrs ist froh, dass sich neben den katholischen Christen, vertreten durch Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, auch muslimische, jüdische und buddhistische Repräsentanten beteiligen werden. Bei den Gesprächen im Vorfeld sei es vor allem um Gemeinsamkeiten gegangen. "Wir wollen Trost spenden und die Angehörigen ermutigen, wieder den Weg ins Leben zu gehen." Dieses Thema, meint Kirsten Fehrs, kenne keine religiösen Grenzen.