Der«Antimodernisteneid» vor 100 Jahren

Schutzwall gegen Irrtum

«Ich umfasse fest und nehme an alles und jedes Einzelne, was vom irrtumslosen Lehramt der Kirche bestimmt, aufgestellt und erklärt ist, besonders die Hauptstücke ihrer Lehre, die unmittelbar den Irrtümern der Gegenwart entgegen sind.» So beginnt die lange Eidesformel, die noch bis 1967 alle angehenden katholischen Geistlichen der Welt vor ihrem Ortsbischof oder Ordensoberen ablegen mussten. KNA-Chefredakteur Ludwig Ring-Eifel blickt zurück.

 (DR)

Der Text enthielt feierliche Bejahungen der kirchlichen Glaubenslehre, aber auch kräftige Verdammungen von Theorien über die Religion, die seit Ende des 19. Jahrhunderts in den Salons, an Universitäten und auch an Theologischen Fakultäten viele Anhänger gefunden hatten. Diese pauschal als "Modernismus" bezeichneten Ideen sah Papst Pius X. (1903-1914) als eine Bedrohung für die Lehre der Kirche, deren Reinheit und Unversehrtheit er mit diesem Eid retten wollte.



Seine Veröffentlichung am 1. September 1910 führte in einigen Ländern zu einer schweren Krise nicht nur an den Fakultäten, sondern beschäftigte auch Parlamente und Diplomaten. Besonders in Paris, wo der berühmte Exeget Alfred Loisy (1857-1940) die historisch-kritische Methode auf die Texte der Bibel anwendete, aber auch in England, Italien und Deutschland versuchten Theologen, den Glauben und die Tradition der Kirche in einer Weise zu deuten, die mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaften vereinbar war. Diese Modernisierung drohte, so die Überzeugung von Pius X., die Wahrheit selbst zu unterhöhlen. Deshalb kulminierte der Schwur in dem Satz:



"Endlich bekenne ich ganz allgemein: Ich habe nichts zu schaffen mit dem Irrtum, der die Modernisten glauben lässt, die heilige Überlieferung enthalte nichts Göttliches (...) So halte ich denn fest und bis zum letzten Hauch meines Lebens werde ich festhalten den Glauben der Väter an die sichere Gnadengabe der Wahrheit, die in der Nachfolge des bischöflichen Amtes seit den Aposteln ist, war und immer sein wird (...)".



Wissenschaftlichkeit der theologischen Forschung in Frage gestellt

Diese wuchtige Absage an jegliche Form der Veränderung stellte aus Sicht vieler Zeitgenossen die Wissenschaftlichkeit der theologischen Forschung grundsätzlich in Frage. Konnte jemand, der diesen Eid geleistet hatte, noch kritisch und offen sein für neue Entdeckungen? Der katholischen Theologie in Deutschland, die gerade erst auf dem Weg war, wissenschaftlich ähnlich ernst genommen zu werden wie die protestantische, drohte der Ausschluss aus den Universitäten. Dem Apostolischen Nuntius in Bayern, Andreas Frühwirth, gelang es zu vermitteln. Er rang dem Vatikan einen pragmatischen Kompromiss ab: Professoren mussten den Eid nicht ablegen - es sei denn, sie waren nebenbei in der Seelsorge tätig.



An der Basis gab es andere Kompromisse. So machten manche Bischöfe ihren Seminaristen klar, dass man ja nur dem Modernismus in seiner radikalen Form abschwöre - was ja noch keine Absage an jede Form von Modernisierung sei. So oder so blieb die Wirkung begrenzt. In ganz Europa gab es nur etwa 40 Kleriker, die den Eid verweigerten. Prominente Vertreter der modernistischen Thesen wurden exkommuniziert (darunter auch Loisy), viele denunziert.



Der Trend unter den Theologen, Glauben und Tradition der Kirche im Licht der Moderne neu zu begreifen, ließ sich freilich nicht stoppen. Als Johannes XXIII., der zu Beginn seiner Karriere selbst unter Modernismusverdacht gestanden hatte, das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) einberief und eine "Aktualisierung" der Kirche forderte, wurde offenbar, dass sich die gemäßigten Modernisten durchgesetzt hatten.



1967 wird der Eid durch Glaubensbekenntnis ersetzt

Es war eine Frage der Zeit, bis Paul VI. 1967 den Eid ersatzlos abschaffte. Als dann in den streckenweise chaotischen Jahrzehnten nach dem Konzil anstelle des Modernismus ein Relativismus, also eine gewisse Beliebigkeit in Glauben, Liturgie und Lehre Einzug hielt, versuchte wieder ein Papst, mit einem Eid gegenzusteuern. Johannes Paul II. (1978-2005) führte 1998 einen vom damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger formulierten Treueid verbindlich ein.



Er enthält im Wesentlichen eine feierliche Wiederholung des "normalen" Glaubensbekenntnisses aller Gläubigen, darüber hinaus aber auch Formeln wie diese: "Fest glaube ich auch alles, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird, sei es durch feierliches Urteil, sei es durch das ordentliche und allgemeine Lehramt." Auch gegen diesen Eid gab es zunächst Proteste und Polemik. Eine tiefgreifende Krise wie der Antimodernisteneid vor 100 Jahren löste die neue, deutlich gemäßigtere Formel indes nicht aus.