40.000 Klassen-Wiederholer in NRW

Kinder unter Druck

Wenn am Montag in NRW das neue Schuljahr startet, werden über 40.000 Schüler an den Allgemeinbildenden Schulen eine Klasse wiederholen müssen. Viele schämen sich, fühlen sich als Versager und müssen sich nun an einen neuen Klassenverband gewöhnen. Experten fordern seit langem eine Abschaffung des "Sitzenbleibens".

 (DR)

Über 26 Prozent der Wiederholer besuchten freiwillig die Schulklasse ein zweites Mal, teilte die Techniker Krankenkasse (TK) am Freitag in Düsseldorf mit. Für die repräsentative Elternumfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Krankenkasse 1.000 Personen befragt.  

«Vorwürfe sind fehl am Platz», sagte Ulrich Adler von der TK-Landesvertretung in NRW. Eltern sollten mit den Kindern zusammen über Ängste und Gefühle sprechen und Geborgenheit vermitteln.

Angst vor schlechten Noten und zunehmender Leistungsdruck setzten 23 Prozent aller Schulkinder stark unter Druck, so Adler zu dem Ergebnis einer aktuellen Elternumfrage. Die Hälfte dieser Kinder sei häufig niedergeschlagen, unausgeglichen, ängstlich und unsicher. Jedes dritte Kind habe nach Angaben der befragten Eltern Konzentrationsstörungen.
"Deutsche Idotie"
Das «Nicht versetzt» im Zeugnis führt nach Worten von Adler zu einem «gehörigen Knacks» im Selbstbewusstsein der Kinder. Der Umgang mit diesen Kindern erfordere viel Fingerspitzengefühl. Eltern sollten gemeinsam mit ihren Sprösslingen überlegen, welche Gründe zur Klassenwiederholung geführt haben könnten und was im nächsten Jahr besser gemacht werden könnte, lautete Adlers Rat. Ein negativ abgeschlossenes Schuljahr sei auch die Chance für einen Neuanfang. Und der Frust über die schlechten Noten im Vorjahr gerate schnell in Vergessenheit, sobald sich die ersten Erfolge einstellten.

Der schwedische Bildungsforscher Mats Ekholm bemängelt die hohe Sitzenbleiber-Quote an deutschen Schulen. "Sitzenbleiben ist eine deutsche Idiotie", sagte der Bildungsforscher domradio.de. Schulen als "Orte des Lernens" sollten nicht bestimmte Schüler aussortieren, sondern sie auch in schwierigen Situationen fördern. In Schweden schafften so 65 Prozent die Zugangsberechtigung zum Hochschulstudium. Knapp die Hälfte aller Schulabgänger nähmen tatsächlich auch ein Studium auf.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW fordert schon seit langem, das Sitzenbleiben abzuschaffen: „Die Klasse zu wiederholen, bringt den meisten Schülerinnen und Schülern keine Verbesserung der Leistung", erklärt GEW-Schulexpertin Marianne Demmer. „Was macht es bei zwei Fünfen für einen Sinn, ein Jahr lang den Stoff in allen Fächern zu wiederholen? Das Sitzenbleiben frustriert die Kinder und Jugendlichen und stempelt sie zu Versagern", so die stellvertretende GEW-Vorsitzende. Sie schlägt vor, den Schulen die durch Abschaffung der „Ehrenrunden" eingesparten Gelder für Fördermaßnahmen zur Verfügung zu stellen.