missio-Türkei-Experte glaubt nicht an Fortschritte in der Tarsus-Frage

"Es wird sich nichts ändern"

Der Vatikan hat die Unterstützungsgeste der türkischen Religionsbehörde zugunsten der Pauluskirche in Tarsus begrüßt. Im domradio.de-Interview zweifelt Türkei-Experte Dr. Otmar Oehring von missio jedoch an der Ernsthaftigkeit von Absichtserklärungen der Türkei.

Tor zu Tarsus: Irgendwann doch wieder für Christen offen? (DR)
Tor zu Tarsus: Irgendwann doch wieder für Christen offen? / ( DR )

domradio.de: Die Pauluskirche in Tarsus, dem Geburtsort des Apostels in der heutigen Türkei, ist schon seit längerer Zeit ein Zankapfel zwischen Christen und der türkischen Regierung. Derzeit ist die Kirche ein Museum. Insbesondere das Erzbistum Köln unterstützt den Wunsch der christlichen Minderheit in der Türkei, die Kirche wieder für Gottesdienste zu nutzen. Jetzt gibt es für diese Forderung Rückenwind vom Chef der staatlichen türkischen Religionsbehörde. Ali Bardakoglu, Chef der Religionsbehörde, erklärt nun, auch er fände es "richtiger, wenn die Pauluskirche als Gotteshaus genutzt werde statt als Museum". Das Gebäude sei "ein heiliger Ort für die Christen, die dort religiöse Zeremonien abhalten wollen". Was sagen Sie - wird sich durch diese Worte vielleicht etwas ändern?
Oehring: Man kann es sich zwar wünschen, aber ich glaube es eigentlich nicht. Herr Bardakoglu hat sich schon einmal in entsprechender Weise geäußert, wie auch andere Vertreter des türkischen Staates oder des türkischen politischen Establishments. Es hat sich bis jetzt überhaupt nichts an der Situation geändert, und ich befürchte, dass sich auch weiterhin nichts ändern wird.

domradio.de: Aber irgend etwas muss es doch eigentlich bedeuten, wenn jemand vom staatlichen Religionsamt so etwas sagt. Was hat es damit auf sich?
Oehring: Ich kann mir eigentlich nur vorstellen, dass es damit zu tun hat, dass die Türkei natürlich schon seit geraumer Zeit im Hinblick auf den Umgang mit den nichtmuslimischen Minderheiten, beziehungsweise insgesamt mit den religiösen Minderheiten in der Türkei, in einem schlechten Licht dasteht und es natürlich gerade auch in jüngster Vergangenheit einerseits positive, aber andererseits auch negative Entwicklungen diesbezüglich gegeben hat.

Und vor dem Hintergrund ist es natürlich günstig, wenn der Chef der Religionsbehörde, der für diese ganzen Fragestellungen, also insbesondere jetzt auch für Tarsus, überhaupt nicht zuständig ist, sich äußert und sagt "Eigentlich sollte man … ". Er hat sich ja auch dahingehend geäußert, dass den Muslimen zum Beispiel in Deutschland und in anderen europäischen Ländern der Bau von Moscheen ermöglicht würde und dass vor diesem Hintergrund es umgekehrt natürlich auch in der Türkei eigentlich nur richtig wäre, wenn die Christen eine Kirche, die momentan als Museum genutzt wird, wieder als Kirche nutzen dürften.

domradio.de: Eigentlich ist er gar nicht zuständig, sagen Sie. Was ist denn eigentlich dieses staatliche türkische Religionsamt? Was für eine Bedeutung kommt dieser Behörde zu?
Oehring: Das Präsidium für religiöse Angelegenheiten ist in der Frühzeit der Republik, kurz nach der Republikgründung im Jahr 1923, gegründet worden, und ursprünglich war es eigentlich dazu da, den Islam, wenn man das so sagen darf, zu domestizieren. Der Islam ist damals von den neuen Machthabern in Ankara um Atatürk als Entwicklungshindernis gesehen worden, und sie haben versucht, den Islam aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen und ein Amt eingerichtet, das den Islam kontrollieren und organisieren sollte.

Natürlich ist das in einem mehrheitlich islamischen Land nicht gut gegangen, konnte auch gar nicht gut gehen, es wäre auch merkwürdig, wenn es gut gegangen wäre, das muss man ganz klar sagen. Und inzwischen ist natürlich dieses Amt ein Amt, das zumindestens den Mehrheitsislam in der Türkei, den sunnitischen Islam, nicht nur organisiert, sondern auch fördert, insbesondere momentan, wo wir es mit einer islamischen, wenn nicht islamistischen, Regierung in Ankara zu tun haben.

domradio.de: Sie haben selber lange in der Türkei gelebt und sind auch ein Stück dort aufgewachsen. Was sagen Sie zu der Lage der Christen in der Türkei? Wie ist die derzeit einzuschätzen?
Oehring: Die Lage der Christen ist insgesamt natürlich viel, viel besser als noch vor zehn oder gar zwanzig Jahren, da gibt es überhaupt keinen Vergleich. Aber verglichen zum Beispiel mit den islamischen Ländern in der Umgebung der Türkei, insbesondere in der arabischen Welt, in Syrien, im Libanon und auch in anderen Ländern, ist die Lage der Christen in der Türkei weiterhin sehr angespannt.

Es gibt einerseits natürlich durchaus Möglichkeiten wie in der westlichen Welt, zum Beispiel Religionswechsel. Das ist eine mehr theoretische Möglichkeit. Aber auf der anderen Seite, wenn es um die Religionsausübung der Christen und insbesondere auch die Organisation, die Selbstverwaltung der Kirchen in der Türkei geht, muss man ganz klar sagen, dass das im Vergleich zum Beispiel mit Syrien, Jordanien und Libanon sehr, sehr schlecht ist. Also von Religionsfreiheit in der Türkei kann sicher keine Rede sein, aber dennoch gibt es heute weitaus größere Spielräume, Freiräume für die christlichen Kirchen und auch die anderen nicht-muslimischen Minderheiten als wie schon gesagt noch vor geraumer Zeit.

domradio.de: Gesetzt den Fall die Pauluskirche in Tarsus würde nun tatsächlich wieder für christliche Gottesdienste genutzt werden können. Würde das etwas ganz Grundlegendes verändern?
Oehring: Nein. Ich war auch nie glücklich über das Engagement insbesondere der Erzdiözese Köln, aber auch des verstorbenen Ortsbischofs Padovese, die sich gemeinsam sehr stark für die Wiedereröffnung der Pauluskirche als Kirche eingesetzt haben. Das ist nämlich im Grunde genommen nur eine kleine Angelegenheit im Vergleich mit dem, was die Kirchen und die nichtmuslimischen Minderheiten insgesamt in der Türkei eigentlich vom Staat erwarten. Sie erwarten, dass sie anerkannt werden, dass sie als Kirchen oder Religionsgemeinschaften so funktionieren können, wie das bei uns auch möglich ist und wie das in der Türkei im Grunde auch möglich sein müsste, weil die Türkei, wie die Bundesrepublik Deutschland, die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat. Sie ist also dort auch Gesetz geworden, und damit müsste im Grunde genommen den Christen, den Juden und allen anderen Religionsgemeinschaften, natürlich auch dem Islam, volle Religionsfreiheit zugebilligt werden. Das ist nicht der Fall.

Wenn man jetzt hergeht und sagt: "Öffnet doch eine Kirche!", welche auch immer das sein mag, dann ist es zwar schön, wenn diese Kirche geöffnet wird, und es kann auch sein, dass das aus historischen, kirchengeschichtlichen Gründen von ganz großer Bedeutung ist, insbesondere natürlich im Fall der Pauluskirche in Tarsus. Es ändert aber an der grundsätzlichen Problematik nichts. Das Gleiche gilt zum Beispiel auch für den Gottesdienst, der unter großem Medieninteresse am 15. August im griechisch-orthodoxen Sümela-Kloster in der Gegend von Trabzon stattgefunden hat. Und das Gleiche gilt auch für die Messe, die Ende September in der armenisch-orthodoxen Kirche auf der Insel Achatamar in der Südosttürkei stattfinden wird. Das sind natürlich schöne Ereignisse, bei denen auch die entsprechenden Gemeinden mit großer Nostalgie an die guten Zeiten in der Türkei zurückdenken und wo es natürlich auch noch Hoffnungen gibt, dass sich daraus etwas Weiteres, etwas Größeres, etwas Positives ergibt.