Breite Kritik an Sarrazins Migrationsthesen

Eine "Schande"

Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin erntet für seine neuerlichen Thesen zur Migration in Deutschland breite Kritik. Der Interkulturelle Rat in Deutschland nennt ihn einen Rassisten, Integrations-Staatsministerin Maria Böhmer seine Äußerungen polemisch, diffamierend und verletzend. Angezweifelt werden auch Sarrazins angeführte Statistiken.

 (DR)

Der Interkulturelle Rat in Deutschland hat dem Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin vorgeworfen, ein Rassist zu sein. Der frühere Berliner SPD-Finanzsenator befürworte eine gesetzliche Diskriminierung von Muslimen und mache sich zum Fürsprecher rechtsextremistischer Parteien und Bewegungen, erklärte der Rat am Dienstag in Darmstadt.

Für die angesehene Deutsche Bundesbank sei es eine Schande, einen Rassisten im Vorstand zu haben. Zur Begründung verwies der Interkulturelle Rat auf einen in der neuesten Ausgabe des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" abgedruckten Auszug aus Sarazins Buch "Deutschland schafft sich ab". Der Rat forderte die SPD auf, sich mit ihrem Mitglied Sarrazin inhaltlich auseinanderzusetzen. Es sei mehr erforderlich als ein Parteiausschlussverfahren. Dies nämlich könne zur Folge haben, dass Sarrazin in die Arme von NPD und pro Deutschland getrieben werde, die ihn schon seit einiger Zeit als Vorbild feierten und seit langem nach einer politischen Führungsperson suchten.

"Seine Positionen haben absolut nichts mit sozialdemokratischer Integrationspolitik oder überhaupt mit demokratischer Politik zu tun", sagte der Berliner SPD-Landeschef Michael Müller dem Tagesspiegel. Die reine Lust an der Provokation treibe ihn zu "immer fragwürdigeren und menschenverachtenden Aussagen". Der Vorsitzende der Linksfraktion, Udo Wolf, kritisierte Sarrazins neue Veröffentlichung als "unerträglich rechtspopulistisch" und an der Grenze zur Volksverhetzung.

Staatsministerin Böhmer: Sarrazin polemisch und verletzend
Auch Integrations-Staatsministerin Maria Böhmer (CDU) hat die neuen Äußerungen Sarrazin als polemisch, «diffamierend und verletzend» kritisiert. Die Thesen Sarrazins seien zudem wissenschaftlich nicht haltbar, erklärte Böhmer am Dienstag in Berlin. Keinerlei Studien belegten grundsätzliche mangelnde Integrationsbereitschaft der Muslime in Deutschland. Böhmer betonte, Integration sei keine Einbahnstraße. Beide Seiten müssten aufeinander zugehen. Wer dauerhaft in Deutschland leben wolle, müsse seinen Willen zur Integration deutlich machen.

Böhmer verwies auf eine am Montag vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung veröffentlichte Studie zur Bildung türkischstämmiger Migranten. Danach wechselten bei gleicher Leistung und ähnlichem sozialen Hintergrund türkische Kinder häufiger auf die Realschule oder das Gymnasium als deutsche Mädchen und Jungen. Das zeige den hohen Bildungsanspruch dieser Familien. Zugleich zeige sich, dass Bildungserfolge weniger eine Frage der ethnischen als der sozialen Herkunft seien. Die CDU-Politikerin verwies auch auf die frühere Zugehörigkeit Sarrazins zum Berliner Senat, der bei der speziellen Förderung von Schulen mit einem hohen Migrantenanteil versagt habe. «Wer selbst im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen», meinte sie.

Integrationsdruck auf muslimische Migranten
Sarrazin hatte in dem Artikel und in seinem neuen Buch einen höheren Integrationsdruck auf muslimische Migranten gefordert. Man dürfe nicht zulassen, dass 40 Prozent der muslimischen Migranten von Transferleistungen lebten und ihnen jede Form von Integration "erspart" werde, so Sarrazin. Integration müsse eine Bringschuld von Migranten sein. Wenn es um die Gestaltung der Zukunft Deutschlands gehe, müsse man auch darüber reden, welche Einwanderungsgruppen ökonomischen Nutzen oder ökonomische Belastungen mit sich bringen.

Bei künftigen Migranten müsse man wesentlich schärfere Maßnahmen anlegen. Deutschland sei dabei, sich abzuschaffen, indem jede Generation etwa ein Drittel kleiner sei als die vorhergehende. Muslimische Migranten bekämen im Durchschnitt doppelt so viele Kinder wie die übrige Bevölkerung. Die Fortsetzung dieses Trends würde dazu führen, dass die Mehrheit in einzelnen deutschen Städten oder Regionen, möglicherweise irgendwann aber auch in Deutschland insgesamt kippe, warnte Sarrazin.