Monsignore Maasburg über seine Begegnungen mit Mutter Teresa

"Bauernschlau war sie bestimmt"

Mutter Teresa wäre am 26. August 100 Jahre alt geworden. Der Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich, Leo Maasburg hat die Friedensnobelpreisträgerin rund sieben Jahre in Indien und in anderen Ländern begleitet.

 (DR)

Im Interview mit domradio.de erinnert er sich an ihren rastlosen Einsatz, ihren Humor und ihren Umgang mit Kritik.

Hier ein Interview der KNA
KNA: Monsignore Maasburg, was war das Faszinierende an Mutter Teresa?
Maasburg: Dass sie so normal war. Ihre Falten und strengen Lippen haben mich an meine Großmutter erinnert. Für diese Generation galt Disziplin. Von sich selbst hat sie als einem "Nichts" gesprochen. Wurde ihre Arbeit gelobt, verwies sie auf Jesus und sagte: "Das ist sein Werk."

KNA: Wie haben Sie die Ordensfrau kennengelernt?
Maasburg: Das war in Rom, als ich für einen slowakischen Bischof auf Englisch dolmetschte, damit er sich mit Mutter Teresa unterhalten konnte. Gleich nach der ersten Übersetzung fragte sie mich, ob ich ein Auto hätte. Als ich bejahte, war ich schon engagiert, um drei Schwestern zum Flughafen zu fahren.

KNA: Mutter Teresa umwehte früh der Hauch von Heiligkeit. Sie soll aber auch schlitzohrig gewesen.
Maasburg: "Bauernschlau", wie wir in Österreich sagen, war sie bestimmt. Sie hat Situationen sehr schnell erfasst. Wenn sie etwa Spannungen zwischen Menschen bemerkte, versuchte sie sofort, etwas dagegen zu tun. Das geschah mit einer heiteren Bemerkung. Oder sie platzierte bei Veranstaltungen die Leute anders.

KNA: Stimmt es, dass sie auch mal US-Präsident Ronald Reagan angerufen hat?
Maasburg: Das war zur Zeit der großen Hungerkrise in Äthiopien. Ein kirchlicher Hilfsdienst hatte eine große Menge an Getreide und Nahrungsmittel aufgetan, konnte diese aber nicht verteilen. Da rief sie von einer Telefonzelle aus das Weiße Haus an. Innerhalb von Minuten kam der Rückruf. Sie bat den Präsidenten um Hilfe für den Transport. Reagan schickte dann auch zum Verteilen ein paar Hubschrauber von einer im Mittelmeer stationierten Einheit.

KNA: Vor kurzem wurde bekannt, Mutter Teresa habe lange Zeit mit Glaubenszweifeln zu kämpfen gehabt. Wie ist sie damit umgegangen?
Maasburg: Man muss wissen, dass sie vorab über 20 Jahre ein intensives Leben als Ordensfrau geführt hat. Sieben Jahre Novizin, danach zeitliche und ewige Gelübde abgelegt. 1942 kam noch ein privates Devotionsgelübde dazu, in dem sie Christus versprach, ihm nie eine Bitte abzuschlagen. Anfang der 50er Jahre fiel sie dann in etwas hinein, was in der katholischen Mystik die "Nacht der Seele" genannt wird. Diese Prüfung ergreift Menschen, die eine ganz enge Beziehung mit Gott haben und nun eine Gottverlassenheit wie Jesus im Garten Gethsemane spüren. Das Innenleben eines Menschen braucht ebenso Erlösung wie die Außenwelt, wo es um Hunger, Not und Ungerechtigkeit geht.

KNA: Haben Sie von diesem Konflikt etwas mitbekommen?
Maasburg: Gar nichts. Sie hat mit niemandem darüber gesprochen, nur mit einem niederländischen Priester, dem sie in den 60er Jahren zufällig auf einem US-Flughafen begegnete. Nach 20 Minuten bat sie ihn, ihren Schwestern Exerzitien zu geben. Zudem begann sie eine Korrespondenz und schüttete ihm in 18 Briefen ihr Herz aus. Johannes vom Kreuz soll eineinhalb Jahre durch diese Nacht der Seele gegangen sein; bei Mutter Teresa waren es 35 Jahre.

KNA: Welche Tugenden zeichneten sie aus?
Maasburg: Güte. In ihrer Umgebung fühlte man sich nach kürzester Zeit wohl. Nie hatte ich das Bedürfnis, ihr gegenüber Geheimnisse zu haben. Uns Junge hat allerdings ihr Lebensrhythmus überfordert. Wenn unsereiner nach einem harten Tag völlig fertig ins Bett fiel, ist sie in die Kapelle und hat noch eine oder zwei Stunden gebetet. Wenn wir morgens um 6 Uhr zur Messe kamen, war sie schon seit drei Uhr früh wieder auf. Im Flugzeug hat sie zuerst das Brevier, dann den Rosenkranz gebetet, danach auf einem Bündel Papier ihre Aufzeichnungen gemacht. Sie war immer in Aktion, mit einer verbissenen Treue zum Auftrag. Aber sie hatte Verständnis, wenn jemand ihr Tempo nicht mithalten konnte.

KNA: Wie ist sie mit Kritik umgegangen? Ein Vorwurf lautete, sie habe Spenden von Diktatoren angenommen.
Maasburg: Sie war sehr offen für Kritik, weil ihr dadurch ja Jesus etwas hätte sagen können. Dabei war ihr wichtig, die Aussage auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. War die Kritik berechtigt, dann galt: Bitte um Verzeihung und sorge für Veränderung. War sie unberechtigt, half ihr das Gebet. Was die Spenden betrifft, hat sie immer den einzelnen Menschen gesehen. Geschenke von der Industrie, der Politik, ja sogar von der Kirche hat sie nicht angenommen, sondern nur von Person zu Person. Dabei agierte sie pragmatisch.

KNA: Und der Vorwurf, die medizinische Versorgung bewusst nicht verbessert zu haben?
Maasburg: Das Sterbehaus in Kalkutta baute sie auf, weil sie den vielen Menschen, die dort auf der Straße sterben, die Möglichkeit geben wollte, in ihren letzten Stunden geliebt und umsorgt zu sein. Die Einrichtung war bewusst kein Krankenhaus. War es finanziell möglich, brachten die Schwestern Menschen auch ins Hospital. Mutter Teresa ließ sich selbst nur medizinisch behandeln, wenn sie von Ärzten die Zusage bekam, dass sie auch Arme bringen dürfe.

KNA: Wie kann Mutter Teresa heute Vorbild sein?
Maasburg: Den einen spricht ihre Sozialaktivität an, den anderen ihre eucharistische Frömmigkeit. Wir sind noch lange nicht zur Tiefe ihrer Persönlichkeit vorgedrungen. Ich bin überzeugt, dass sie zur Kirchenlehrerin erhoben wird. Wir haben von ihr über 5.400 profunde, ausgiebige theologische Schriften für Familien, Kinder, für Theologen, für Ordensleute, für Politiker, die sie auf ihren Reisen geschrieben hat.

KNA: Was hätte Mutter Teresa zu ihrer Verehrung als Selige gesagt?
Maasburg: Sicherlich hätte sie eine witzige Bemerkung fallen lassen wie: "Stellt die Kerzen nicht zu nah an die Bilder." Einem Journalisten gegenüber hat sie einmal betont: "Heiligkeit ist nicht das Privileg für wenige, sondern Heiligkeit ist die einfache Berufung für jeden von uns. Wir sind alle berufen, heilig zu sein."

Das Gespräch führte Barbara Just.

Literaturhinweis: Leo Maasburg: "Mutter Teresa. Die wunderbaren Geschichten", Pattloch Verlag München 2010, 240 Seiten, 19,95 Euro.