Sozialeinrichtung hilft jungen Straftätern

Unkraut zupfen statt U-Haft

Inmitten von Wiesen und Feldern an einem kleinen See gelegen, mutet die Häusergruppe beinahe an wie ein Feriendorf. Doch in Frostenwalde sind die Jugendlichen nicht zum Spaß. Sie haben sich für die evangelischen Sozialeinrichtung entschieden, weil sie sonst hinter Gittern säßen.

Autor/in:
Inga Kilian
 (DR)

Dass Frostenwalde seine letzte Chance ist, weiß Tobias Schmidt (Name geändert) ganz genau. "Ich will es auf jeden Fall schaffen, mich zu ändern", sagt der 16-jährige Straftäter. Seit einem halben Jahr ist er in der Jugendhilfeeinrichtung mitten in der ländlichen Uckermark, am Rande des Odertals, untergebracht.

Eigentlich - auch das weiß Tobias - säße er jetzt im Gefängnis wegen einer Straftat, über die er nicht sprechen will. Doch der Haftrichter gab ihm diese letzte Chance und ordnete die "Unterbringung zur Vermeidung der Untersuchungshaft" an. Ein Konzept, das angesichts der bundesweiten Debatte um geschlossene Heime plötzlich Modellcharakter hat.

Derzeit leben 32 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren in Frostenwalde, einem Haus des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerkes (EJF) im brandenburgischen Hohenselchow-Groß Pinnow. 20 von ihnen säßen sonst hinter Gittern. "Diese Jugendlichen sind froh, nicht im Knast gelandet zu sein", sagt der Leiter der Einrichtung, Hans-Joachim Sommer. Tatsächlich könnte der Gegensatz nicht größer sein. Statt enger Zellen gibt es komplett ausgestattete Häuser. Die Jugendlichen leben in kleinen Wohngruppen von sechs Personen.

Menschen statt Mauern
Inmitten von Wiesen und Feldern an einem kleinen See gelegen, mutet die Häusergruppe beinahe an wie ein Feriendorf. Von Gefängnisatmosphäre keine Spur: Der wackelige Zaun rund ums Gelände dürfte für keinen der Jugendlichen ein Hindernis darstellen. Das große Holztor steht offen, zum Arbeiten fahren sie in die Stadt. "Menschen statt Mauern", lautet das Konzept der Einrichtung. Anstelle von verschlossenen Türen setzt der Träger auf intensive Betreuung.

Zwei Mitarbeiter je Wohngruppe beaufsichtigen die Jugendlichen rund um die Uhr, insgesamt kommen auf 32 Jugendliche fast 30 Pädagogen. Eine derart intensive Betreuung kostet Geld. Etwa 200 Euro pro Tag zahlt das jeweils zuständige Jugendamt für die Unterbringung eines Jugendlichen. Im Vergleich dazu beträgt der Rechnungsansatz der Berliner Senatsjustizverwaltung bei den Haftkosten 98 Euro täglich.

Nach Meinung der EJF-Regionalleiterin Sigrid Jordan-Nimsch sind die Mehrkosten aber gut angelegt. "In der Haft warten die Jugendlichen auf ihre Verhandlung, hier werden sie auf ein anderes Leben vorbereitet", sagt sie. Statt U-Haft steht beispielsweise Unkraut zupfen auf dem Plan - die Jugendlichen haben tägliche Pflichten, gehen wieder zur Schule. "Sehr oft können sie weder lesen noch schreiben, manche können nicht einmal die Uhrzeit erkennen", berichtet Jordan-Nimsch.

"Ich habe gelernt zu arbeiten"
Auch Tobias ist in Frostenwalde um einige Erfahrungen reicher geworden. "Ich habe gelernt zu arbeiten", betont er. "Rasenmähen, Putzen - das habe ich vorher alles noch nie gemacht", erzählt er. Aber es macht ihm Spaß. "Häuser renovieren - das könnte ich mir später auf jeden Fall auch als Beruf vorstellen", sagt er. Deshalb will er nach seiner Entlassung aus Frostenwalde ein Berufsvorbereitungsjahr absolvieren. Zuvor muss er allerdings ein weiteres Mal vor den Richter. Mit einer harten Strafe rechnet er jedoch nicht: "Bewährung und nach Hause", ist sich Tobias sicher.

Dort wird es schwer für ihn. Die Betreuer wissen: Zurück in altem Fahrwasser werden viele Jugendlichen rückfällig. Immerhin - eine wissenschaftliche Untersuchung zu Frostenwalde ergab 2003, dass rund 60 Prozent der hier untergebrachten Straftäter den Absprung in ein neues Leben schaffen. Klar ist allerdings auch, "dass in fünf Monaten keine Umerziehung stattfinden kann", so Jordan-Nimsch. In den meisten Fällen sei bei den Jugendlichen zuvor zuviel schiefgelaufen. Sanktionen seien zu spät erfolgt, viele hätten die Schwere ihrer Taten nie erkannt.

Tobias scheint verstanden zu haben, worum es für ihn geht. "Ich hatte hier viel Zeit zum Nachdenken", beteuert er. "Ich hab' aus meinen Fehlern gelernt und bereue meine Taten." Für die Zeit nach seiner Entlassung hat er sich viel vorgenommen: Seine alten Kumpels will er nicht mehr treffen, sagt er, "keine Scheiße mehr bauen", den "Neuanfang" schaffen.