Der einsame Kampf der EU-Kommissarin für Humanitäre Hilfe, Kristalina Georgieva

Yes she can

Am 19. August ist Tag der humanitären Hilfe. In diesem Jahr blickt die Welt vor allem nach Pakistan. Das ganze Ausmaß der Flutkatastrophe ist riesig. Genau wie die Aufgabe Kristalina Georgievas. Seit sechs Monaten ist die Bulgarin zuständig für Humanitäre Hilfe und Krisenintervention in der EU.

Autor/in:
Tanja Tricarico
 (DR)

Ein wenig verloren steht sie in der Eingangshalle des Berlaymont, dem Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel. Gerade hat EU-Kommissarin Kristalina Georgieva erfahren, dass sich die Zahl der Flutopfer in Pakistan auf über 20 Millionen erhöht hat. Sie blickt ihren Sprecher an, schlingt die Arme um den Körper, als ob es sie fröstelt. Spürbar ist die Last, die auf ihren Schultern liegt.

Die Flut in Pakistan, Feuer in Russland, Erdrutsch in China. Beinahe täglich erreichen Georgieva Nachrichten von neuen Katastrophen auf der Welt. Dann muss die 57-Jährige entscheiden, wem die EU hilft und wer warten muss. "Von den Überschwemmungen erfuhr ich gegen 5 Uhr morgens. Um 13 Uhr konnte ich die ersten Hilfszusagen machen", sagt sie stolz.

Wenn Georgieva ihre Kollegen in den EU-Staaten abtelefoniert, will sie vor allem eins: Geld. 70 Millionen Euro hat sie für Pakistan herausgeholt. Wie man an Millionen kommt, hat sie bei der Weltbank gelernt. Über 15 Jahre hat sie für das Finanzinstitut gearbeitet - und eine steile Karriere gemacht. 1993 initiierte die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin die ersten Umweltschutzprogramme. Sie spezialisierte sich auf Asien und Russland, jonglierte mit Budgetgeldern in Milliardenhöhe. 2008 schaffte sie es als Vizepräsidentin fast bis an die Spitze der Organisation.

Ihr türkisgrünes Kostüm ist längst nicht mehr in Mode. Mütterlich wirkt sie mit ihren kurzen, dunkelbraunen Haaren, der zarten Goldkette, der bestickten Bluse. Georgieva passt nicht ins moderne Europa. Doch ihre Arbeit setzt sie geschickt multimedial in Szene. Sie bloggt und twittert über ihre Tränen beim Anblick hungernder Kinder im Niger, über den Klimawandel, über das Abendessen mit Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Sie weiß, was die Mitgliedsstaaten bewegt, ihren Geldtopf beständig zu füllen.

"Ich verstehe diese Schuldzuweisungen nicht"
Bittstellerin, Desaster-Kommissarin, Hinterbänklerin. Georgieva muss sich vieles anhören. Vor allem den Vorwurf, nie genug zu tun. "Ich verstehe diese Schuldzuweisungen nicht", sagt sie aufgebracht. Haiti war ihre erste Mission. Über 500 Millionen Euro hat sie für das zerstörte Land gesammelt. Kritisiert wurde sie trotzdem. Georgieva will mehr sein als die Geldeintreiberin. Alleingänge bei Krisen sollen ein Ende haben, sagt sie. Sie will ein Netzwerk gründen, das weltweit eingesetzt werden kann. "Durch den Klimawandel wird es mehr Naturkatastrophen geben", fürchtet sie. "Wir brauchen das Wissen und die Ressourcen aller Staaten, um uns langfristig zu schützen."

Die Polen nennt sie Freunde, den Russen verspricht sie Solidarität und lobt deren gutes Krisenmanagement. Georgievas Erfolg soll auch das Image des Ostblocks aufpolieren. "Bulgarien ist besser als sein Ruf", sagt sie und lacht schrill. Zum Dank will die bulgarische Regierung sie irgendwann mit einem hohen Amt belohnen, heißt es.

"Europa soll in den Krisengebieten sichtbar sein"
Bei ihrer Ernennung zur Kommissarin bezeichnete ein Parlamentarier Georgieva sogar als weiblichen Barack Obama. Als eine, der man ein "Yes she can" zutraut. Ehrgeiz, Biss und die nötige Diplomatie braucht sie in ihrem Job. Nicht nur beim Geldeintreiben. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton will bei Pakistan mitreden und Entwicklungskommissar Andris Piebalgs bei der Hilfe für Simbabwe. Kompetenzgerangel gehört zum Tagesgeschäft.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso habe sehr weise gehandelt, ihr Ressort zu gründen, verkündete Georgieva auf einer Pressekonferenz zu Pakistan. Sie will zum Aushängeschild für Humanitäre Hilfe in der Welt werden. "Europa soll in den Krisengebieten sichtbar sein", sagt sie. In der kommenden Woche wird Georgieva nach Pakistan fliegen. "Mein Job ist der schlimmste, den man sich vorstellen kann", sagt sie. "Und der schönste." Bald wird ihr erstes Enkelkind in Sofia geboren. Gerade sieht es nicht aus, als würde sie es bald kennenlernen.