Bundesweite Wallfahrt der Roma und Sinti in Köln

Hammel, Hühner, Huldigung

Seit acht Jahren kommen Sinti und Roma aus ganz Deutschland und den Nachbarländern an den Tagen um den 15. August nach Köln. Zigeunerwallfahrt heißt das im Volksmund. Organisiert ist sie nicht, einzig durch Mundpropaganda hat sie sich "eingebürgert" und ist nun schon junge Tradition. Am Sonntag war es wieder soweit.

Autor/in:
Veronika Schütz
Kölner Dom: Segnung vor der Mailänder Madonna an Mariä Himmelfahrt (KNA)
Kölner Dom: Segnung vor der Mailänder Madonna an Mariä Himmelfahrt / ( KNA )

Die dunkelblonde Frau mittleren Alters reibt einen Geldbeutel an einem Stein neben der Madonna im Kölner Dom. Ihr Mann tut es ihr nach mit einen Zettel - einer Aufenthaltsgenehmigung. Die beiden sind Roma. Das Reiben von Gegenständen am Stein neben der Muttergottes soll Glück, Geld oder eben das Bleiberecht bringen.

Hunderte Sinti und Roma stehen für diesen Brauch am Hochfest Maria Himmelfahrt Schlange vor der Madonna. Das Pontifikalamt, das gleichzeitig stattfindet, interessiert sie kaum. Sie kommen, um zu Maria zu beten, Opfergaben zu bringen und um ihre Verbundenheit auszudrücken. Die meisten lassen sich obendrein von Pfarrer und «Zigeunerseelsorger» Jan Opiela segnen.

Sie kommen mit Freunden und Familie. Denn für die größte ethnische Minderheit Europas ist Religion in erster Linie mit Familie verbunden. Ob katholisch, jüdisch oder muslimisch ist Suada und den meisten egal: «Es gibt doch nur einen Gott, und der ist für alle da», sagt sie.

Die Menschen kommen im Laufe des Tages, besuchen die Madonna, verweilen eine Zeit, gehen und kommen wieder. Die meisten sind Muslime, heißt es. Wie Suada, die mit ihrer Familie aus Nordhorn in Niedersachsen angereist ist. Seit 18 Jahren lebt sie in Deutschland, nachdem ihre Eltern mit ihr im Alter von 6 Monaten aus dem Kosovo flohen. «Wir beten hier für unsere Zukunft und dafür, dass wir bleiben können», sagt sie. Bisher ist sie nur geduldet.

Die Schülerin fühlt sich als Deutsche, will Verkäuferin werden und besucht die Berufsschule. Den Kosovo kennt sie nicht. Seit dem Rückübernahmeabkommen, das die Bundesregierung im April geschlossen hat, ist ihre Angst vor einer Ausweisung noch gestiegen. «Im Kosovo müssten wir vermutlich in Pappkartons wohnen, da haben wir keine Zukunft.» Aber auch in Deutschland ist ihre Situation schwierig und ungewiss. «Ein deutscher Hund hat es hier besser als ein Roma», sagt Suada.

Seit etwa 600 Jahren leben Roma in Deutschland. Die Anzahl ihrer Nachfahren mit deutscher Staatsbürgerschaft wird auf etwa 70.000 geschätzt. Über die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen gibt es nur vage Annahmen. Unicef rechnet mit 50.000 Roma-Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, darunter 20.000 Kinder. Besonders die Roma, die als Flüchtlinge kategorisiert werden, haben es schwer. Zwei Drittel von ihnen werden nur geduldet. Das bringt Probleme mit sich: Sie müssen jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Darüber hinaus bleibt ihnen der Zugang zu Integrationsmaßnahmen und zu Sprachkursen verwehrt.

Vor diesem Hintergrund rufen die meisten Wallfahrer Maria um Hilfe an, für eine sichere Zukunft in Deutschland. Um den Gebeten Nachdruck zu verleihen, bringen die Roma Opfergaben mit. «Die werden dann an noch ärmere verteilt», sagt Suada. Handtücher, Kleidung oder Nahrungsmittel sind in Körben vor dem Altar zu finden. Auch Blumen werden niedergelegt. «Einmal kam jemand mit einem Hammel, ein anderer hatte Hühner dabei», erinnert sich Opiela. Es ist eine archaische Art der Huldigung. «Wenn du träumst, du sollst einen Hammel bringen, damit deine Gebete erhört werden, dann bringen wir auch einen Hammel», sagt Suadas Vater.

Die Familie glaubt fest an das Wirken von Maria. Suadas Schwester sei durch den Besuch der Madonna im Kölner Dom von einem Nierenleiden befreit worden, da sind sie sich sicher. Wichtig ist aber, dass während der Zeit im Dom nicht mit anderen Roma gesprochen wird, nachdem man den Altar besucht hat. «Sonst geht mein Glück an den anderen», sagt die junge Frau. Erst vor der Kirchentür darf geplaudert werden. Die Kleidung, die beim Besuch und während der Segnung getragen wird, darf man auch nicht weggeben, verrät sie. Denn dann ist das Glück auch weg.