UN-Mitarbeiterin Billi Bierling über die Folgen der Flut

"Pakistaner sind zäh"

Die Überschwemmungen in Pakistan haben eine beispiellose Hilfsmaschinerie in Gang gebracht. Während sich die Taliban als Retter zu inszenieren versuchen, hat UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon zur bislang größten Spendenaktion in der Geschichte der Vereinten Nationen aufgerufen. Im Interview berichtet Billi Bierling vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR über die Situation im Norden des Landes.

 (DR)

KNA: Frau Bierling, wie sieht es derzeit bei Ihnen aus?
Bierling: Mit der Situation hier hat wirklich keiner gerechnet. Viele Gebiete sind noch unzugänglich. Deshalb ist es schwierig, das Ausmaß der Überschwemmung einzuschätzen. In den Medien ist die Rede von 14 Millionen Betroffenen. Allerdings stehen diese nicht alle ohne Haus und Hof da. Betroffener kann ich auch sein, wenn durch die Katastrophe Aprikosen beim Gemüsehändler teurer geworden sind.

KNA: Medien in Deutschland berichten von einem Ausmaß der Katastrophe, das schlimmer sei als der Tsunami vor fünf Jahren oder das Erdbeben in Haiti. Wie bewerten Sie das?
Bierling: Ich denke nicht, dass man solche Katastrophen vergleichen kann. Ein Erdbeben kann nur wenige Sekunden dauern - und dann ist alles kaputt. Bei einer Überschwemmung sind die Intervalle länger. Man weiß nicht, wann die Regenfälle wieder aufhören. Natürlich ist es furchtbar, dass 1.600 Menschen gestorben sind. Aber der Tsunami hat damals ja noch ganz andere Opferzahlen gefordert. Trotzdem wird diese Katastrophe sehr langhaltende Auswirkungen auf das Land, die Infrastruktur und die Wirtschaft haben.

KNA: Wie können die Helfer die Betroffenen unterstützen?
Bierling: Das UNHCR hat hier fünf Lagerhallen mit Hilfsgütern. Leider standen vier davon teilweise bis zu drei Meter unter Wasser. Wir versuchen, so viel wie möglich zu trocknen, aber die meisten Decken sind leider hin. Ansonsten verteilen die Helfer unter anderem Zelte, Wasserkanister und Schlafmatten. Am meisten benötigen wir Zelte und Plastikplanen, die vor Regen schützen. Zum Glück muss derzeit niemand frieren. Viele campen außerdem auf dem Mittelstreifen der Autobahn, weil der relativ hoch liegt.

KNA: UNO-Generalsekretär Ban hat zur vermutlich größten Spendenaktion aller Zeiten aufgerufen. Die Taliban dagegen bieten der Regierung etwa 15 Millionen Euro, wenn sie auf jede Hilfe aus dem Westen verzichtet. Wie bewerten Sie solches Hilfsgerangel?
Bierling: Ich glaube nicht, dass irgendein Land der Erde in so einer Situation auf internationale Hilfe verzichten kann - auch wenn das Land sehr stolz ist und zunächst glaubt, mit der Situation selbst fertig zu werden. Von einem solchen Taliban-Vorstoß habe ich selbst noch nichts mitbekommen. Und wenn das wahr wäre, würden sich das UNHCR und andere Hilfsorganisationen gewiss nicht davon abbringen lassen, den Menschen hier zu helfen.

KNA: Wie groß wird der langfristige Schaden für Pakistan sein?
Bierling: Das Land wird noch sehr lange damit zu kämpfen haben. 14.000 Tiere sind gestorben. Ihre Kadaver treiben im Wasser, und die Menschen fürchten sich natürlich vor Seuchen. Außerdem hat das Wasser Tausende Hektar Ackerland zerstört. Brücken wurden niedergerissen und große Teile der Infrastruktur zerstört. Es gibt enorm viel zu tun. Deshalb werden wir noch mehr Helfer für kurze Missionen brauchen.

KNA: Können die Betroffenen diese Herausforderung stemmen?
Bierling: Ich bewundere die Pakistaner für ihr Durchhaltevermögen. Nach anderen Naturkatastrophen und militärischen Interventionen haben sie viel Leid und Zerstörung hinter sich. Trotzdem sind sie untereinander immer sehr hilfsbereit und öffnen etwa ihre Häuser für Vertriebene. 24 Stunden nach den stärksten Regenfällen waren sie schon wieder beim Aufbauen. Alles, was zu retten ist, wird gerettet. In dieser Hinsicht sind sie viel zäher als wir Deutschen.