Kenia entscheidet über eine neue Verfassung

Grünes Licht oder roter Stopp

In Kenia stimmen die Wahlberechtigten heute über eine neue Verfassung ab. Umfragen zufolge befürwortet eine klare Mehrheit das neue Grundgesetz. Die Vereinbarung soll den blutigen Konflikt beenden, der nach den Wahlen Ende 2007 ausgebrochen war. Die Kirchen lehnen den Entwurf dennoch ab.

Autor/in:
Anja Bengelstorff
 (DR)

Politiker scharen in Massenkundgebungen ihre Anhänger um sich, um sie auf ein Ja, symbolisiert durch die Farbe Grün, oder ein rotes Nein einzuschwören. Während sowohl Befürworter als auch Gegner Mängel in dem vorliegenden Dokument erkennen, zeigen Meinungsumfragen dennoch eine breite Zustimmung in der Bevölkerung.

Viele Menschen setzen große Hoffnung in die neue Verfassung, dürsten nach einer Gesetzgebung, die ihre Interessen vertritt. Die Ungeduld ist verständlich in einem Land, das jahrzehntelang von einem übermächtigen Präsidenten regiert wurde und nach der gefälschten Präsidentenwahl vom Dezember 2007 in Gewalt versank: 1.500 Menschen starben, 300.000 verloren ihr Obdach. Eine neue Verfassung ist Teil des Friedensabkommens vom Februar 2008, das der Gewalt nach den Wahlen ein Ende setzte. Und es ist das zweite Mal, dass die Kenianer über einen neuen Verfassungsvorschlag abstimmen. Der erste Entwurf wurde 2005 von einer Mehrheit abgelehnt.

Der jetzige Entwurf sieht unter anderem vor, die Macht des Präsidenten zu beschneiden und politische Entscheidungsgewalt zu dezentralisieren. So könnte der Präsident - wie schon seit langem gefordert - nicht mehr eigenmächtig Schlüsselpositionen in der Regierung besetzen. Zudem soll eine Kommission die Landvergabe untersuchen, mit der der frühere diktatorische Staatschef Daniel arap Moi sich und seine Vertrauten begünstigte. Parlamentarier könnten bei schlechter Leistung ihren Sitz verlieren und die Rolle von Frauen würde gestärkt. Weiter wäre Abtreibung unter bestimmten Bedingungen erlaubt.

Kritik der Kirchen
Der letzte Punkt stieß auf heftige Kritik seitens der Kirchen. In einem unmittelbar vor der Abstimmung veröffentlichten Schreiben rufen die katholische Bischofskonferenz, Anglikaner und evangelische Kirchen zu einem Nein zu dem Entwurf auf. Die vorgeschlagene Verfassung schütze weder die Heiligkeit menschlichen Lebens noch die "gesunde und moralische Bildung unserer Kinder" noch religiöse Gleichheit, heißt es darin unter anderem.

Außer der Frage des Lebensrechts bewegt die Kirchenführer vor allem die weitergehende Anerkennung ziviler muslimischer Gerichte. Ein Gegeneinander der Religionen wollen sie freilich ausschließen und bitten auch die Muslime, gegen den Entwurf zu stimmen. "Wir teilen die gleichen Probleme, die gleichen Träume und die gleichen Hoffnungen", heißt es in dem Schreiben.

Gegner wie Befürworter der neuen Verfassung rühren kräftig die Werbetrommel. Regierung und Nichtregierungsorganisationen schalten ganzseitige Zeitungsanzeigen. Mehrmals täglich wird eine Rede von Premierministers Raila Odinga im Radio wiederholt, in der er seine Landsleute auffordert, mit einer Ja-Stimme ihre Zukunft in die Hand zu nehmen. Ein als "Verfassungsfakten" betitelter Absender versendetet Details aus dem Verfassungsentwurf per SMS an Handybesitzer, obwohl diese einen solchen Service nie abonniert haben.

"Lobenswerte Absicht, aber nicht vollständig durchdacht"
Abraham Rugo vom regierungsunabhängigen Institute of Economic Affairs in der Hauptstadt Nairobi hat aber ernste Zweifel, ob der Entwurf halten kann, was er der PR-Maschine zufolge verspricht. "Das Dokument zeigt eine lobenswerte Absicht, aber es ist nicht vollständig durchdacht", sagt er und kritisiert etwa die geplante Struktur der regionalen Repräsentation. Auch äußert er die Sorge, dass es zu ethnischer Abgrenzung sowie einem noch größeren bürokratischen Apparat kommen könnte. "Die Politiker haben nicht die Absicht, Kenia eine funktionierende Struktur zu geben", meint Rugo.
"Sie spielen auf Zeit und nutzen es aus, dass wir nicht noch länger warten wollen."

Inwieweit die neue Verfassung den Alltag der Menschen in Kenia überhaupt verbessern kann, stellt die Zeitung "Daily Nation" in Frage. In einem Kommentar heißt es nüchtern: "Gesellschaften erzielen kein höheres Wirtschaftswachstum, nur weil eine Verfassung das fordert."