Wie eine junge Geigerin einem Holocaustüberlebenden begegnete

Versöhnt durch die Musik

Bereits Ende 2008 berichtete domradio.de erstmals über Judith Stapf und Michael Emge: die Freundschaft zwischen einem jungen Mädchen und einem Holocaustüberlebenden. Nun erzählte die ARD mit dem Film "Ich stand auf Schindlers Liste" ihre ungewöhnliche Geschichte nach - und fort.

Autor/in:
Monika Herrmann-Schiel
 (DR)

Judith Stapf und der alte Musiker ist zehn Jahre alt, als sie mit ihrem Vater vor dem Computer sitzt und Itzhak Perlman googelt. Der Solist ist der Lieblingsmusiker der talentierten Nachwuchsgeigerin. Auf "YouTube" stoßen sie auf einen Clip, in dem Perlman die Filmmusik zu Schindlers Liste spielt. Judith ist fasziniert. Es gehe so etwas Tröstendes von dieser Musik aus, sagt sie. Sie will dieses Stück spielen und mehr wissen über den Film und den Holocaust. Sie besorgt sich Bücher und diskutiert mit ihren Eltern. Nur wenn sie verstehen könne, könne sie diese Musik wirklich spielen, erklärt sie. Am besten wäre es, einen Menschen zu treffen, der Zeitzeuge ist und den Holocaust überlebt hat.

So beginnt die beeindruckende Beziehung zwischen der blutjungen Geigerin Judith begann und dem ehemaligen Geiger Michael Emge. Er hat überlebt, weil er auf Schindlers Liste stand. Die Geschichte von ihm und Judith habe etwas ganz Besonderes, das auch ganz jungen Menschen den Zugang zu dem schwierigen Thema Holocaust vermittle, sagt Martin Buchholz. Er erzählt sie in seinem Film "Ich stand auf Schindlers Liste", den die ARD in der Reihe "Gott und die Welt" am 1. August 2010 um 17.30 Uhr ausstrahlte.

Michael Emge war ein Kind, als er 1943 mit seinen Eltern in das Lager Plasow deportiert wurde. Die Mutter arbeitete in Schindlers Emaillefabrik als Arbeiterin eingesetzt. Er selbst musste die Hunde eines SS-Mannes pflegen. Emge vermutet, dass er es diesem Offizier verdankt, dass er als 14-jähriger Junge auf Schindlers Liste gekommen ist, auf der eigentlich nur Arbeiter der Fabrik stehen sollten.

Fragen mit Neugier und Einfühlungsvermögen
Judith, die in diesem Jahr den ersten Platz in der Kategorie Violine-Solo der Altersgruppe III beim Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" belegt hat, stellt Emge mit Neugier und Einfühlungsvermögen Fragen, die den alten Herrn tief berühren. Er antwortet mit großer Offenheit, beschreibt wie das Erleben täglicher Grausamkeit abstumpft, wie die Mitleidsfähigkeit verschwindet. Er habe nie mehr in seinem Leben wirklich enge Freunde gefunden, und nie wieder sei er wirklich glücklich gewesen, sagt er.

Lange Jahre hat Michael Emke nicht über seine Erlebnisse gesprochen. Dann ist er ein paar Mal als Zeitzeuge in Schulen gegangen und hat sich auch öffentlich geäußert. Daraufhin bekam er unangenehme "braune" Post. Deshalb hat er im Film ein Pseudonym. "Wir kennen seinen richtigen Namen und sein Geburtsdatum. Er steht auf Schindlers Liste, auch wenn dort kein Michael Emge zu finden ist", erklärt Martin Buchholz.

Bewegende Tage
Für Judith entschließt sich der Dialysepatient zu einer schwierigen Reise. Nach über 50 Jahren besucht er Plasow, geht über den Platz des Konzentrationslagers, wo sich heute nur zwei Gedenksteine befinden und steht vor der Villa, von der aus der mörderische Amon Göth wahllos auf Häftlinge schoss.

Es sind bewegende Tage für Emge, Judith und ihre Mutter. Hier spürt man die Nähe zwischen dem jungen Mädchen und dem alten, schwer traumatisierten Mann. Eine Nähe, die möglich wurde durch die Musik. Es ist Judiths Geigenspiel, das die Brücke gebaut hat. Deutlich zu spüren ist das bei dem kleinen Geburtstagkonzert, dass sie ihm in einer Kölner Kirche gibt. Eine lange Kette von Zufällen hat all dies möglich gemacht. Dieser kleine bewegende Film zeigt, dass das Leben wirklich die besten Geschichten schreibt.