Kirchenhistoriker zur Spendenentwicklung

"Es teilt sich immer weiter auf"

Eine "gerechte Verteilung der Güter auf der Welt" hatte Norbert Trippen zuletzt im Kölner Dom angemahnt. Im Interview mit domradio.de führt der Kirchenhistoriker vor dem Hintergrund der Spendeninitiative von US-Milliardären aus. Zu spenden sei eine "Grundforderung unseres christlichen Glaubens" - vor allem mit Blick auf die Schwächsten der Weltgemeinschaft.

 (DR)

domradio.de: Herr Trippen, Sie haben am Sonntag in Ihrer Predigt im Kölner Dom gesagt, dass eine gerechte Verteilung der Güter auf der Welt immer mehr dem Streben der Vermögenden weiche, ihren Besitz zu sichern. Glauben Sie, dass die Superreichen in Deutschland wirklich so egoistisch sind?
Nobert Trippen: Das ist keine geschlossene Gruppe, sondern es gibt sehr unterschiedliche sehr reiche Leute. Manchmal lesen wir von Leuten, die schon reich sind und auf unlautere Weise immer noch mehr dazugewinnen wollen. Aber vor einigen Tagen ist der Gründer des ALDI-Konzerns, Theo Albrecht, gestoben. Von ihm weiß ich, dass er in Essen auch für kirchliche Zwecke sehr großzügig gestiftet hat. Also das kann man nicht verallgemeinern.

domradio.de: Wie bewerten Sie die momentane Spendenfreudigkeit der Deutschen insgesamt, vor allem der Christen?
Trippen: Die Spendenfreudigkeit der Deutschen geht auf die 50er Jahre zurück: Als man Krieg und Not überstanden hatte und das Wirtschaftswunder aufkam, wurden Spendenorganisationen wie Misereor, Brot für die Welt und Adveniat gegründet. Da kamen ganz erstaunliche, bis dahin nie gekannte Summen zustande. Die Deutschen spenden heute immer noch viel, aber das teilt sich immer weiter auf. Es gibt immer mehr Menschen, die an dem Spendenkuchen partizipieren. Da ist das Fernsehen ein Problem für uns, denn was die Leute da an Millionen spenden - mit einem blauen Band unten am Bildrand "Lieschen Müller, Köln - 50 EUR" - das geht dem Roten Kreuz und auch Misereor usw. verloren, weil die Menschen nicht mehr haben und nicht mehr geben können, als sie haben.

domradio.de: Was ist am Spenden und daran, sich für einander einzusetzen, speziell christlich?
Trippen: Das hängt damit zusammen, was Jesus Christus uns in der Bergpredigt vor Augen geführt hat: Was Ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt Ihr mir getan. Und die Bereitschaft, mit den Notleidenden zu teilen, ist eine der Grundforderungen unseres christlichen Glaubens.

domradio.de: Wie sollten wir denn als Christen mit unserem "Vermögen" umgehen?
Trippen: Da gibt es auch keine einheitliche Regel. Ein Familienvater mit drei oder vier Kindern, der schon die zukünftigen Studienkosten für diese Kinder vorhersieht, der muss natürlich etwas auf Seite legen. Oder wenn er in einer zu engen Wohnung wohnt und ein Haus bauen will, muss er auch Vermögen ansparen. Das kann man ihm sicher nicht übel nehmen. Der Staat fordert uns auf, für unser Alter vorzusorgen. Aber es gibt irgendwo die Frage: Wie sichere ich mich einerseits selbst ab und wie weit bin ich andererseits bereit, Menschen, die in konkreter Not sind, zu helfen. Das ist oft nicht der Bettler hier bei uns vor den Domtüren - wo ja Kartelle herrschen und Vorsicht geboten ist -, sondern es gibt vielfältige Not, die jedem von uns begegnet.

domradio.de: Verführen großzügigen Spenden den Staat nicht dazu, sich noch mehr aus der Verantwortung zurückzuziehen?
Trippen: Ich glaube nicht, dass wir dem Staat in seiner Ausgabenpolitik mit Spenden Konkurrenz machen. Der Staat ist viel mehr davon betroffen, wenn die Kirche wegen zurückgehender Kirchensteuern Kindergärten und Schulen schließen muss, weil das Geld dafür nicht mehr da ist, und der Staat das übernehmen muss. Der Staat zahlt ja für Pflegesätze in Altenheimen und Krankenhäusern ohnehin viel Geld. Aber es wird immer noch eine ganze Menge aus der Kirchensteuer zugeschossen, speziell bei Kindergärten, und das erspart dem Staat natürlich Kosten. Wenn wir da nicht mehr mitmachen würden, das würde den Staat treffen. Aber die 50 bis 60 Millionen pro Jahr, die für Misereor oder Adveniat ins Ausland transferiert werden, schaden dem Staat nur insofern, dass er sie als Spenden und somit als steuermindernd anerkennt. Der Staat könnte also eher ein Interesse daran haben, dass wir weniger spenden, damit er wieder mehr Steuern einnimmt.

domradio.de: Private Spenden, egal wie groß sie sind, können doch ein funktionierendes Sozialsystem nicht ersetzen. Wie muss sich Ihrer Meinung nach der Staat verhalten, um dieses Sozialsystem am Laufen zu halten?
Trippen: Das große Problem ist im Augenblick, dass der Staat kein Geld ausgeben kann, das er nicht hat. Die Methode, mit der sich Staaten kurzfristig helfen, alle Parteien gleichermaßen, in Deutschland wie in Italien, ist das Schuldenmachen. Schulden, die spätere Generationen abzahlen müssen, oder wir bekommen einen Crash wie in Griechenland. Das ist das Problem des Staates. Und wenn fast die Hälfte unseres Staatshaushalts Sozialausgaben sind, dann heißt Sparen und Schulden zurückführen immer auch, den ohnehin Schwachen etwas wegzunehmen. Ob das gerecht verteilt ist oder ob man nicht doch die Allerreichsten kräftiger zur Kasse bitten sollte, ist die Frage - wobei reich ja ein diskutierbarer Begriff ist: Ist ein Studienrat mit einem festen Einkommen von 3.000 bis 4.000 EUR pro Monat für sich und seine Familie schon reich? Der zählt heute ja schon zu den Reichen. Da muss man die Grenze sicher höher ansetzen. Dafür fände sicher eine breite Mehrheit in unserer Bevölkerung.

Das Gespräch führte Aurelia Plieschke.