In Nordirland schwelt der Konfessionskonflikt

"Isolierte Krawallmacher"

Bei den traditionellen Protestanten-Märschen in Nordirland ist es am dritten Tag in Folge zu Ausschreitungen gekommen. Die protestantisch-katholische Regierung Nordirlands will nun gemeinsam mit der Polizei nach Wegen suchen, wie sich die wiederkehrende Gewalt beenden lässt. Zu den Hintergründen: Politikwissenschaftler Jürgen Elvert.

 (DR)

domradio.de: Herr Elbert, in den vergangenen Jahren mussten die Oranier bei ihren Märschen auf viele Streckenabschnitte in katholisch bewohnten Vierteln verzichten und die Brutalität nahm infolgedessen ab. Wie so jetzt die neue Welle der Gewalt?
Jürgen Elvert: Ich sehe da ein ganzes Bündel an Faktoren. In erster Linie kommt natürlich das Frustrationspotential wieder an die Oberfläche, das sich auch vor dem Hintergrund einer großen sozialen Problematik angestaut hat. In den Stadtteile, in denen es in den letzten Tagen zu den Unruhen gekommen ist, herrscht eine Arbeitslosenquote von 22-23%, insbesondere bei Jugendlichen. Und die suchen sich dann bei solchen Anlässen ein Ventil. Der 12. Juli ist da ein recht geeignetes Datum.

domradio.de: Könnten die Oraniermärsche eigentlich ganz untersagt werden? Wäre das ein realistisches Szenario?
Elvert: Das wäre total unrealistisch, weil zwei Drittel der nordirischen Protestanten dem Oranierorden angehören.

domradio.de: Haben die Demonstranten, die nun wieder auf die Straße gegangen sind und sich Schlachten mit der Polizei geliefert haben, nach Ihrem Eindruck viel Rückhalt in der katholischen Bevölkerung oder sind das eher isolierte Krawallmacher?
Elvert: Es sind wohl isolierte Krawallmacher. Es gibt eine grundsätzliche Mehrheit in der nordirischen Bevölkerung sowohl auf katholischer als auch auf protestantischer Seite, die eindeutig friedliche Verhältnisse bevorzugen, weil man in den letzten Jahren gelernt, dass das Ende des Konflikts für jeden einzelnen Bewohner Nordirlands durchaus Vorteile für das allgemeine Leben und für die allgemeine wirtschaftliche Situation gebracht hat.

domradio.de: Politiker der Partei Sinn Féin hatten bereits zu einem Ende der Gewalt aufgerufen, aber offenbar ohne Erfolg. Wie viel Einfluss hat Sinn Féin noch in der Bevölkerung?
Elvert: Sinn Féin hat auf der katholischen Seite einen relativ hohen Einfluss. Sie stellen vier Minister im nordirischen Kabinett. Das ist ein sehr hoher Einflussfaktor.

domradio.de: Sie haben ja bereits auf die sozialen Spannungen hingewiesen, die sich jetzt in diesen Krawallen entladen haben. Inwieweit spielt denn die Religion noch eine Rolle im Nordirlandkonflikt?
Elvert: Religion war eigentlich seit Ausbruch des Konflikts immer nur Bestimmungsfaktor für eine bestimmte soziale Stellung. Es ist kein religiöser Konflikt, es ist letztendlich ein politisch-gesellschaftlicher Konflikt, der sich über Jahrzehnte angestaut hat und dann Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre explodiert ist.

domradio.de: Was müsste jetzt geschehen, damit der Nordirlandkonflikt sich auch langfristig beruhigt, damit Frieden herrscht zwischen Katholiken und Protestanten, was wir eigentlich schon erreicht glaubten?
Elvert: Es ist ein langsamer Gewöhnungsprozess beider Bevölkerungsgruppen aneinander. Es gibt war zwar friedliche und relativ stabile politische Verhältnisse. Auf der anderen Seite haben auch jüngste Untersuchungen nachgewiesen, dass es kaum Kommunikation zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gibt. Natürlich gibt es die auf intellektueller Ebene, aber auf der Ebene der Menschen, von denen einige jetzt in West-Belfast auf die Straße gegangen sind, findet so gut wie keine Kommunikation statt. Diese Menschen müssen erst einmal lernen, nicht nur nebeneinander her zu leben, sondern auch miteinander zu reden.

Interview: Stephanie Gebert