Belgiens Medien wenden sich vom einstigen Liebling Danneels ab

Gegenwind im Blätterwald

Über Jahre und Jahrzehnte war Kardinal Godfried Danneels in den belgischen Medien ein gerngesehener Gast. Zurückhaltend aber leutselig, ein gewitzter und zweisprachiger Gesprächspartner, intellektueller Übervater. Böse Worte fielen über ihn gemeinhin nicht. Das gehört nun der Vergangenheit an.

Autor/in:
Christoph Lennert
Räumte Fehler ein: Kardinal Godfried Danneels (KNA)
Räumte Fehler ein: Kardinal Godfried Danneels / ( KNA )

Die Medien ergötzten sich daran, dass der inzwischen 77-Jährige auch gern aus dem Nähkästchen plauderte: Wäre er zum Papst gewählt worden, hätte er den Namen Johannes XXIV.
angenommen, ließ er etwa wissen. Und zu Benedikt XVI. vermerkte er trocken nach dessen Wahl: «The proof of the pudding is in the eating» - frei übersetzt: Man werde den neuen Papst an seinen Taten messen können.

Nun aber bläst Danneels medialer Gegenwind ins Gesicht. Zwar hat er kein offizielles Amt mehr inne; seit Januar ist Andre-Joseph Leonard Erzbischof von Mechelen-Brüssel und Vorsitzender der Bischofskonferenz. Kritische Stimmen, die in den belgischen Medien in der Vergangenheit häufig nur kurz verzeichnet wurden, erhalten plötzlich breiten Raum.

Dazu trägt bei, dass die belgische Justiz so löchrig ist wie ein Sieb. Immer neue «Enthüllungen» aus den Ermittlungen dringen an die Öffentlichkeit. So erfahren die Medien etwa, dass beim Erzbistum Unterlagen aus dem Fall des Kinderschänders und Mörders Marc Dutroux gefunden worden seien. Umgekehrt wissen die Medien auch, dass die Generalstaatsanwaltschaft offenbar Zweifel an der Amtsführung des Brüsseler Untersuchungsrichters Wim De Troy hat, der die Ermittlungen gegen die Kirche leitet und für die jüngste Razzia verantwortlich ist. Und fleißig notieren die Journalisten, welcher Richter oder Staatsanwalt wohl eher den kirchen- oder gar «Opus Dei»-nahen Kreisen einerseits oder den Freimaurerlogen andererseits zuzuordnen sei.

Bischofskonferenz-Sprecher Eric de Beukelaer versuchte am Mittwoch in den Abendnachrichten des belgischen Fernsehens, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Er sei sehr sicher, dass Danneels bewusst keine Missbrauchsfälle vertuscht habe. Andererseits werde man in der langen Amtszeit des Kardinals, der 30 Jahre an der Spitze der belgischen Kirche stand, immer einen Punkt finden, an dem er nicht angemessen gehandelt habe. «Heute werden Eltern, wenn sie den Verdacht auf Missbrauch durch Geistliche haben, in jedem Fall zuerst zur Polizei gehen, so katholisch sie auch sein mögen», so de Beukelaer. Und das sei auch gut so.

Medienberichten zufolge soll Danneels in rund 50 Fällen von Missbrauch durch Geistliche erfahren und nicht angemessen reagiert haben. Schon 1998 hatte er vor Gericht gestanden, weil ihm und seinem damaligen Weihbischof Paul Lanneau vorgeworfen wurde, ihre Aufsichtspflicht gegenüber einem des Missbrauchs geständigen Geistlichen verletzt zu haben. In zweiter Instanz wurden Danneels und Lanneau freigesprochen.

Nachdem nun Ende April Bischof Roger Vangheluwe von Brügge Kindesmissbrauch eingestanden hatte und zurücktrat, lösten sich bei vielen Opfern die Zungen. Die von den Bischöfen schon im Jahr 2000 eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission erhielt plötzlich Berichte über Hunderte weiterer Fälle. Darunter waren offenbar auch Aussagen, die sich über den früheren Umgang der Kirche - und Danneels' - mit Missbrauchsvorwürfen beschwerten.

Bei einer Razzia im Erzbistum am 24. Juni wurden sämtliche 475 Dossiers der Kommission ebenso wie zahlreiche Computer und Akten beschlagnahmt. Die Kommission trat geschlossen zurück: Viele Opfer hätten sich vertraulich an sie gewandt, und die Justiz habe dieses Vertrauen gebrochen, so die Begründung.

Danneels wurde am Dienstag während seiner zehn Stunden dauernden Vernehmung mit dem bisherigen Kommissionsvorsitzenden und Kinderpsychiater Peter Adriaenssens konfrontiert. Die Justiz muss nun prüfen, ob an Danneels' Verhalten strafrechtlich etwas auszusetzen ist, etwa unterlassene Hilfeleistung oder Vertuschung von Straftaten. Zu welchem Ergebnis sie auch kommt: Die immer neuen Enthüllungen lassen die Vermutung zu, dass interessierte Kreise der Kirche in jedem Fall den Prozess machen wollen - und sei es über die Medien.