Wulff brauchte drei Wahlgänge

Ein langer Tag

Angela Merkel kam ganz in Schwarz. Als hätte die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende geahnt, dass dieser Mittwoch neun schwere Stunden für sie bereithalten sollte. Erst im dritten Wahlgang wurde der schwarz-gelbe Kandidat Christian Wulff von der 14 Bundesversammlung zum zehnten Bundespräsidenten gewählt - ein Debakel für die schwarz-gelbe Koalition.

 (DR)

Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der 14. Bundesversammlung um 12.00 Uhr waren deren Mitglieder zahlreich ins Plenum des Bundestags gekommen. Dort lockten an diesem knallheißen Sommertag angenehme Temperaturen. Heiteres Geplauder begann, auch über die Fraktionen hinweg. Während Wulff zwischen Merkel und dem CSU-Chef Horst Seehofer Platz nahm, saß Gauck, da er nicht der Bundesversammlung angehörte, mit seiner Lebensgefährtin auf der Tribüne. Dort hatte sich auch Wulffs Ehefrau Bettina eingefunden, die sich gemeinsam mit Gauck charmant den Pressefotografen präsentierte.

Während des ersten Wahlgangs wurde auch Wulff im Plenum beständig abgelichtet. Parteifreunde sicherten sich fröhlich lächelnd ein gemeinsames Foto mit dem Mann, den sie schon sicher im Schloss Bellevue wähnten. Autogramme wurden gewährt. Dank der alphabetischen Stimmabgabe war ziemlich viel Zeit dafür. Ziemlich zum Schluss durfte auch Wulff wählen, dann wurde gezählt und dann kam der erste Schuss vor den Bug.

Deutliches Scheitern Wulffs im ersten Wahlgang
Um 14.14 Uhr verkündete Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die Sensation. Dass Wulff den ersten Wahlgang verfehlen könnte, damit war gerechnet worden. Überraschend war, wie deutlich er zunächst scheiterte. Nur 600 Stimmen für den niedersächsischen Ministerpräsidenten. Über 40 Wahlfrauen und -männer aus den Reihen von Union und FDP mussten Wulff und damit auch Merkel die Gefolgschaft verweigert haben. Wie das Wahlergebnis für den rot-grünen Kandidaten mit 499 Stimmen nahelegte, waren sie schnurstracks zum früheren DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck übergelaufen, der seit seiner Kandidatur von einer Woge der Begeisterung durch Deutschland getragen worden war.

In Fraktionssitzungen zur Disziplin vergattert kehrten die Mitglieder der Bundesversammlung eine Stunde später zum zweiten Wahlgang ins Plenum zurück. Jetzt war bei Union und FDP die Stimmung schon sichtlich gedrückter. Keiner wollte mehr ein Bild von Wulff, der offenbar auch stellvertretend für die schlecht gestartete Koalition erste Prügel bezogen hatte. Nun ließen sich glückliche Wahlmänner mit der Schauspielerin Martina Gedeck fotografieren, die im roten Kleid für die Grünen in der Bundesversammlung saß.

Aus Warnschuss wird Debakel
Knapp zwei Stunden später war aus dem Warnschuss ein Debakel geworden. Wieder keine absolute Mehrheit für Wulff, der auch im zweiten Wahlgang nur 615 statt der erforderlichen 623 Stimmen erhielt. Durchgefallen. Mit demonstrativem Applaus für das von Lammert verkündete Ergebnis versucht Merkel, der Fassungslosigkeit in den eigenen Reihen entgegenzutreten. Versteinerte Minen dominierten die Reihen von Union und FDP.

Im Reichstagsgebäude begann eine Phase hektischer Betriebsamkeit. Rechnerisch schien auf einmal ein Bundespräsident Gauck möglich. Während Merkel, Seehofer und Hessens Ministerpräsident Roland Koch die entsetzte Unions-Fraktion zur Geschlossenheit mahnten, trafen sich die Spitzen von SPD und Grünen mit der Linken zu einem Sondierungsgespräch.

Von Seiten der Grünen nahm auch die ehemalige «Grande Dame» der Liberalen, Hildegard Hamm-Brücher, an den Gespräch teil, um die Linksparteiführung dazu zu bewegen, doch noch für den rot-grünen Kandidaten zu stimmen. Für die SPD kamen auch IG Metall-Chef Berthold Huber und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, der in Potsdam an der Spitze eine rot-roten Regierung steht. Vergeblich. Die Linke verlangte von SPD und Grünen einen anderen Kandidaten aufzustellen, etwa den früheren CDU-Umweltminister Klaus Töpfer. Die rot-grünen Spitzen winkten verärgert ab.

Schulz: "Versagen der Linken"
Dann berieten die Linken untereinander. Linke-Kandidatin Luc Jochimsen gab auf und zog ihre Kandidatur zurück. Die Linke wolle dennoch nicht für Gauck stimmen, teilte Fraktionschef Gregor Gysi nach der Sitzung vor Journalisten mit. Da platzte dem wortgewaltigen Grünen-Europaabgeordneten und früheren DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz der Kragen. «Das ist das Versagen der Linken», rief er mitten in die Pressekonferenz Gysis. Ein Hauch des Wendejahrs 1989 lag plötzlich in der Luft.

Der Rest war Routine. Niemand zweifelte mehr daran, dass Wulff im dritten Wahlgang gewählt werden würde. Anders als bei der Wiederwahl Horst Köhlers vor einem Jahr sollte diesmal alles organisatorisch klappen, versicherte Lammert. Damals hatten ins Plenum gebrachte Blumen und ein Streichorchester vorzeitig verkündet, dass Köhler bereits im ersten Wahlgang gewählt worden war. Diesmal sollten Blumen und Musik zur rechten Zeit kommen. Die Pannen waren andere, sie waren diesmal politischer Natur.

Gottesdienst am Morgen
Am Morgen hatten die beiden großen Kirchen mit einem festlichen ökumenischen Gottesdienst in der Berliner St. Hedwig-Kathedrale auf die Bundesversammlung eingestimmt. In seiner Predigt machte der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung, Prälat Bernhard Felmberg, den Kandidaten Mut. Gott habe nicht den Geist der Furcht, sondern der Liebe und Besonnenheit gegeben. Die Kandidaten bräuchten ebenso Zuspruch, wie die Gesellschaft «Ermutiger und Hoffnungsspender» benötige. Nur dann könnten die Menschen neuen Mut und neue Kraft schöpfen.

Für die Kirchen ist Wulff ein sehr akzeptabler Bundespräsident.
Nach Heinrich Lübke, der von 1959 bis 1969 Bundespräsident war, ist Christan Wulff erst der zweite Katholik im höchsten Staatsamt. Doch auch die evangelische Kirche in Niedersachsen hat gute Erfahrungen mit ihm gemacht. "Wir haben mit ihm einen verlässlichen Ansprechpartner", sagt der evangelische Bischof Friedrich Weber aus Braunschweig etwa mit Blick auf die Flüchtlingspolitik.

Erst in diesem Frühjahr war sein religionspolitisches Fingerspitzengefühl gefragt, als er seine neue türkischstämmige Sozialministerin Aygül Özkan ermahnen musste. Sie hatte mit der Bemerkung, Kreuze gehörten nicht in Klassenzimmer, für Riesenwirbel in der Union gesorgt. Wulff beeilte sich festzustellen, dass seine Regierung über gute Kontakte zu den Kirchen verfüge.

Einen Riss bekam das Bild des guten Katholiken Wulff, als er sich 2007 von seiner Frau Christiane scheiden ließ, mit der er 19 Jahre lang verheiratet war und eine Tochter hat. Bevor er 2008 die Pressereferentin Bettina Körner heiratete, eine Protestantin, fuhr er mit Tochter Annalena nach Rom zu einer Privataudienz beim Papst.