Feierlicher Gottesdienst vor Beginn der Bundesversammlung

Öffentliches Gebet vor geheimer Wahl

Rund 500 Mitglieder der Bundesversammlung haben am Mittwoch vor der Wahl des neuen Bundespräsidenten an einem ökumenischen Gottesdienst in Berlin teilgenommen. Zu den Mitfeiernden zählten auch die Kandidaten Wulff, Gauck und Jochimsen. Die Repräsentanten der großen Kirchen im politischen Berlin riefen zu Glaubwürdigkeit und Besonnenheit auf und baten um den Segen Gottes für das Land, seine Repräsentanten und Bürger.

 (DR)

Prälat Karl Jüsten, der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, mahnte die Politik, Lehren aus dem Vertrauensverlust zu ziehen. Er rief die Politiker zur Gewissenserforschung auf, ob sie zum Gemeinwohl beitrügen oder Gruppen- oder Einzelinteressen verfolgten. Dabei ging Jüsten auch auf die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche ein. Die Katholiken spürten angesichts von einem «dramatischen Fehlverhalten», dass nur Wahrhaftigkeit und Entschiedenheit zum Guten der richtige Weg seien. Dabei gelte sowohl für die Kirche als auch für Staat, Politik und Gesellschaft, dass es nicht um Image oder Imageberater gehe. «Wir sollten das Gute anstreben und es auch tun», sagte der Prälat. Dann wüchsen auch wieder Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

In seiner Predigt machte der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung, Prälat Bernhard Felmberg, den Kandidaten für das Bundespräsidentenamt Mut. Gott habe nicht den Geist der Furcht, sondern der Liebe und Besonnenheit gegeben. Die Kandidaten bräuchten ebenso Zuspruch, wie die Gesellschaft «Ermutiger und Hoffnungsspender» benötige. Nur dann könnten die Menschen neuen Mut und neue Kraft schöpfen.

"Neue, unverkrampfte Ideen"
Gemeinsam müsse um einen guten Weg gerungen werden, sagte Felmberg. Dabei gehe es um einen Geist des Miteinander. Daraus könnten neue, unverkrampfte Ideen entstehen. Auch Besonnenheit sei von Gott gegeben. Begierde nach größtmöglichem Ansehen oder politisches Kalkül zur Wahrung parteipolitischer Interessen passten nicht zum Geist der Besonnenheit, so Felmberg.

An der Feier nahmen die Spitzen von drei der fünf Verfassungsorgane teil, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Außer fast allen CDU-Bundesministern waren auch je ein Kabinettsmitglied von FDP und CSU, Philipp Rösler und Ilse Aigner, und eine Reihe von Ministerpräsidenten in die Sankt-Hedwigs-Kathedrale gekommen. Anders als in früheren Jahren vor der Bundesversammlung nahmen die Parteispitzen von SPD und FDP nicht an der Feier teil.

Zur Wahl treten vier Kandidaten an. Neben dem von Union und FDP benannten niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff kandidiert der von SPD und Grünen vorgeschlagene frühere DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck. Die Linke schickt ihre Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen ins Rennen. Die rechtsextreme NPD hat den Liedermacher Frank Rennicke aufgestellt.

Gauck mahnt Anhänger im Falle einer Niederlage zur Gelassenheit
Gauck mahnt seine Anhänger im Falle seiner Wahlniederlage zur Gelassenheit. Auf einem Fest der SPD-Mitglieder der Bundesversammlung warnte er am Dienstagabend in Berlin davor, «nicht aus Enttäuschung irgendetwas Unangenehmes oder Ungutes zu tun». Wer auch immer zum Bundespräsidenten gewählt werde, «verdient unsere Unterstützung».

Gauck sagte in seiner letzten öffentlichen Rede vor der Wahl in der Bundesversammlung am Mittwoch, er habe in den vergangenen Wochen eine «unglaubliche und überwältigende Zustimmung zu meiner Kandidatur» erfahren. Egal, wer künftig das höchste Staatsamt bekleidet: «Wir werden morgen alle gewonnen haben.»

Über sich selber sagte der frühere DDR-Bürgerrechtler: «Ich werde morgen Abend ein fröhlicher Bürger eines freien Landes sein. Egal, wie diese Wahl ausgeht.»