Theologie Sellmann über Parallelen von Fußball und Religion

"Der Heilige Geist als Chefcoach"

Der Theologe Matthias Sellmann ist bekennender Fußballfan und hat das Thema Fußball und Glaube wissenschaftlich untersucht. Vor dem entscheidenden WM-Vorrundenspiel spricht der Professor über Parallelen von Glaube und Fußball.

Begeisterung auch für irdische Dinge: Barmherzige Schwestern (KNA)
Begeisterung auch für irdische Dinge: Barmherzige Schwestern / ( KNA )

KNA: Professor Sellmann, warum glauben Sie, dass Jesus heute Fußball-Gleichnisse erzählen würde?
Sellmann: Jesus hat, wenn er Gleichnisse erzählt hat, immer darauf geachtet, dass es klar, einfach und kurz ist und dass die Menschen es verstehen können. Das heißt, er hat die Inhalte der Gleichnisse aus der Lebenswelt der Leute genommen. Und die Lebenswelt von uns heute ist nicht mehr der Fischfang, sondern - zumindest in Tagen wie diesen - eher der Fußball.

KNA: Wie sähe so ein Gleichnis dann aus?
Sellmann: Jesus würde von den Eckfahnen des Glaubens sprechen und von der richtigen Mannschaftsaufstellung, die ins Finale führt. Maria würde er als gute Trainerin bezeichnen und den Heiligen Geist als Chefcoach. Es lassen sich viele Vergleiche herstellen. Ich glaube, Jesus hätte Spaß daran - und wir würden es gut verstehen.

KNA: Was genau haben denn Fußball und Glaube gemeinsam?
Sellmann: Beim Fußball und beim Glauben muss man mit ungenügender Ausstattung einer vollkommenen Größe gegenübertreten: dem Ball bzw. Gott. Darum sind Fußball und Glaube, wie der Fußballphilosoph Dirk Schümer mal sagte, beide «die Kunst des Scheiterns». Das Grundproblem ist bei beiden dasselbe.

KNA: Gibt es auch Grenzen bei den Parallelen zwischen Sport und Glaube?
Sellmann: Doch natürlich. Man darf das Fußballspiel nicht zur Religion erklären. Wenngleich es religiöse Gefühle aufruft und auch als quasi-religiöse Kraft erfahren werden kann. Wo ich als Christ einschreiten möchte ist, wenn einer anfängt, den Pfarrer zu bitten, er soll doch bitte einen Gottesdienst halten, damit die deutsche Nationalmannschaft gewinnt. Das ist ein Missbrauch. Gott ist kein Erfüllungsgehilfe unserer Wünsche.

KNA: Gibt es also keinen Fußballgott?
Sellmann: Nein, den gibt es nicht. Es ist interessant - auch für mich als Theologe - nachzuforschen, warum Menschen diesen Ausdruck gebrauchen und was sie eigentlich damit verbinden. Im Vergleich müsste man aber sagen, dass der Fußballgott ungerecht ist, dass er absolut launisch ist, dass er widersprüchlich ist, dass er nicht auf die Armen achtet, dass er keine Option hat für Verlierer, dass er Menschen betrügt. Der biblische Gott dagegen hat eine Option für die Armen, Gott steigt selber sozusagen in die 5., 6. oder 7. Liga hinab, um uns den Glauben beizubringen. Gott stirbt, Gott ist keine Erfolgsspur, Gott macht Menschen nicht zu Göttern, sondern zu wirklichen Menschen.

KNA: Sehen Sie den Fußball bisweilen als Konkurrenz zur Kirche?
Sellmann: Ich habe Zweifel, dass der Fußball die Kraft hat, wirklich echten Trost zu spenden, wenn das Leben hammerhart zuschlägt. Ich vermute, hier muss auch der Fußball auf andere Quellen zugreifen. Da würde ich sagen, da bewegen wir uns nicht in einer echten Konkurrenz, sondern wir sollten lieber sagen, es gibt große Querschnittsflächen. Da kann man viel voneinander lernen. Aber der Fußball hat einen anderen Job als die Kirche.

KNA: Sie bezeichnen Fußball auch als «Schule des Glaubens». Was kann die Kirche in dieser Schule lernen?
Sellmann: Einfach die Sorgfalt des äußeren Bildes, die Sorgfalt auch der Vorbereitung und der öffentlichen Kommunikation. Wie präsentieren wir uns nach außen? Was ist die Botschaft, die wir nach draußen senden? Wie ist unsere kommunikative Strategie? Und dann die unglaubliche Zielgruppennähe der Vereine zu ihren Fans, die wirklich vorbildlich ist. Und nicht zuletzt die Sichtung von Talenten. Auch hier könnte Kirche von so einem kulturellen Giganten wie dem Fußball in Deutschland sehr viel lernen.

Interview: Gottfried Bohl 

Matthias Sellmann

Mattias Sellmann wurde 1966 in Neheim geboren und ging in Höxter zur Schule. 1985 machte er sein Abitur und leistete anschließend seinen Wehrdienst. Er studierte Katholische Theologie zunächst an der Universität in Paderborn, unterbrach sein Studium aber nach zwei Jahren für ein "Freiwilliges Soziales Jahr". Das verbrachte er in der Schwerst-Altenpflege im Caritas-Altenheim in Herten. 

Im Anschluss studierte er an der Universität in Bonn weiter und absolvierte dort 1994 sein Diplom in Theologie. Ein Jahr später machte er sein Examen in Sozialwissenschaften. 

Matthias Sellmann / © Julia Steinbrecht (KNA)
Matthias Sellmann / © Julia Steinbrecht ( KNA )