Wohlfahrtsverbände thematisieren die gesellschaftliche Spaltung

"Die Menschen wollen raus aus der Armut"

Mit Appellen zu mehr Offenheit der Gesellschaft für Arme und Ausgegrenzte hat in Berlin ein zweitägiges "Treffen der Menschen mit Armutserfahrung" begonnen. Mit dem fünften Treffen dieser Art startete die Nationale Armutskonferenz in die Fokuswoche zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

"Wir müssen", sagt Werner Franke, "intensiver auf die Armut mitten in der Gesellschaft aufmerksam machen und uns für deren Rechte einsetzen." Franke ist Rentner, seit einem Jahr hilft er ehrenamtlich bei Organisation und Vertrieb des "Straßenfeger", einer Berliner Obdachlosenzeitung. An diesem Montag diskutiert er in der Hauptstadt beim zweitägigen "Treffen der Menschen mit Armutserfahrung" mit.

Wie bei kaum einer anderen Veranstaltung während der "Fokuswoche" aus Anlass des Europäischen Jahres 2010 zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung bekommt das sozialpolitische Thema in den Räumen der Berliner Stadtmission ein Gesicht. Ältere mit wenigen Zähnen im Mund, junge Menschen am Stock.

Als Michaela Hofmann vom Deutschen Caritasverband, stellvertretende Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, gerade zwei, drei Sätze zur Begrüßung gesprochen hat, drängt eine verhärmte, kleine Frau ans Saalmikrofon und redet los. Aus einem Obdachlosenheim in Weimar komme sie und wolle auch nicht lange stören. "Aber bevor wieder jemand über Politik redet..., wir sollten den vielen Ehrenamtlichen und Helfern danken. Ganz wichtig." Beifall und Raunen im Saal.

"Armut ist eine Zeit ohne Grenzen", sagt sie wenig später, und ein Weggefährte meint, kaum verständlich, "Armut ist eine Zeit ohne Zeit." Als "Penner" gelten sie oft. In dem Moment sind sie Philosophen.

Selbsthilfegruppen oder Wohlfahrtsverbände
Zum fünften Mal bringt die Nationale Armutskonferenz (NAK) rund 100 "Menschen mit Armutserfahrung" zusammen. Sie kommen aus lokalen Selbsthilfegruppen oder Wohlfahrtsverbänden, aus alternativen Bewegungen und oft aus Hartz IV. Zwar hat jemand auf den Informationstisch neben vieles anderes auch ein Blatt der Linkspartei gelegt, aber eine politische Veranstaltung ist das Treffen trotzdem nicht.

Dabei sorgt der Blick auf das Sparpaket nicht nur bei den Verbandsoffiziellen für Besorgnis oder auch für Empörung. Werner Franke, der Rentner aus Berlin, schildert die Nöte der 700 "Straßenfeger"-Verkäufer, die oft genug als Schmarotzer oder Bettler beschimpft würden. Dann sagt er: "Die Schere zwischen Arm und Reich klafft doch immer weiter auseinander. Wenn die Regierung jetzt ihr Sparpaket durchpeitscht, wird die Zahl der Armen steigen." Er selbst, sagt Franke, habe eine Wohnung und komme mit seiner Rente hin. "Aber in der zweiten Monatshälfte muss ich mich durchhangeln."

Bei den Beratungen geht es unter anderem um politische Strategien und zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit. Auch eine "Aktionsgruppe" lädt zum Mitmachen ein. "Wir wollen dazu ermutigen, mal mit kreativen, künstlerischen Ausdrucksformen Aufmerksamkeit zu wecken", erläutert Klaus-Dieter Greitze von der Landesarmutskonferenz Niedersachsen. Statt der "soundsovielten Demo" könne auch ein einfaches Ratequiz oder eine Kunstaktion mit ein paar Rollen Toilettenpapier zum Nachdenken anregen. An diesem Dienstag will der Deutsche Caritasverband mit einer großen Aktion mitten auf dem Pariser Platz, einer der guten Stuben der Stadt, das beweisen. Und dass Kreativität vorhanden ist, zeigt der bärtige Mann, der stolz durch den Saal geht und Visitenkarten von www.berber-info.de verteilt.

"Das ist kein böses Märchen"
Zwischen den "Menschen mit Armutserfahrung" sitzen am Montag auch Bernd Siggelkow, Leiter der Berliner Sozialeinrichtung "Die Arche", und Imke Duplitzer, deutsche Degenfechterin bei den vier vergangenen Olympischen Spielen. Sie sind zwei der von der Bundesregierung berufenen Botschafter des Europäischen Jahres zum Thema Armut.

Duplitzer, die sich dem Ehrenamt nun seit einigen Monaten widmet, sagt, sie selber sei dafür "ein bisschen exotisch", empfinde es aber als große Ehre. Mittlerweile habe sie "mitten in Deutschland" Kinder getroffen, "die Hunger und nichts zu essen haben. Das ist kein böses Märchen, sondern Schuld des Systems." Jetzt wolle sie dazu beitragen, das Bewusstsein in den anderen Teilen der Bevölkerung zu ändern. "Denn die Klischees stimmen nicht. Die Menschen wollen raus aus der Armut. Aber wir müssen sie mitnehmen."