Köhler-Biograph vor Abschiedszeremonie

"Es dauert, bis er etwas sagt"

Am Abend kehrt Horst Köhler vorerst zum letzten Mal ins Schloss Bellevue zurück. Wird sich der zurückgetretene Bundespräsident bei seiner Abschiedszeremonie zu den Hintergründen seines Rückzugs äußern? Nein, sagt Hugo Müller-Vogg. Gegenüber domradio.de blickt der Köhler-Biograph zurück auf die fast sechsjährige Amtszeit.

 (DR)

domradio.de: Warum hat er aufgegeben?
Müller-Vogg: Ich vermute, er war einerseits frustriert, dass er in diesem Amt so wenig erreichen konnte. Und er war natürlich tief enttäuscht, dass er nach diesen Äußerungen, die missverständlich waren, aber auch bewusst missverstanden wurden, aus der Koalition nicht verteidigt wurde. Besonders getroffen hat ihn, glaube ich, der Vergleich, den die Grünen angestellt haben, nämlich der mit dem früheren Präsidenten Heinrich Lübke, der in seiner zweiten Amtszeit dement war.

domradio.de: Viele haben nach dem Rücktritt von einem Racheakt an der Regierung gesprochen. War es einer?
Müller-Vogg: Nein, aber er hat  Merkel und Westerwelle seinen Rücktritt so kurzfristig mitgeteilt, dass sie auch keine Chance mehr hatten, ihn umzustimmen. Richtig ist sicher, dass es zwischen Angela Merkel und Horst Köhler im Laufe der Präsidentschaft zu einer gewissen Entfremdung kam. Einerseits hatte Angela Merkel gehofft, dass der Präsident ihr aus dem Schloss Bellevue rhetorischen Flankenschutz für die Regierung gibt. Und andererseits hat Horst Köhler - wie manch anderer Präsident vor ihm auch schon - sich nicht zuletzt dadurch profiliert, dass er eigentlich die Parteien stark kritisiert hat. Das haben Politiker nicht so gerne.

domradio.de: Wird sich Köhler heute zu seinem Rücktritt äußern?
Müller-Vogg: Das wird er sicher nicht tun. Der Zapfenstreich hat ein festgelegtes Zeremoniell mit einer festgelegten Reihenfolge. Reden werden keine gehalten. Der Präsident wird sich allerdings im Laufe des Tages von seinen Mitarbeiter im Bundespräsidialamt verabschieden. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er dort eine sehr aufschlussreiche Rede halten wird. Es wäre auch ein sehr seltsames Verfahren, wenn ein Staatsoberhaupt, das auf diese Weise abtritt, dann die Öffentlichkeit über die wahren Beweggründe in Form einer Rede vor einer Art Betriebsversammlung informiert - und dann darauf hofft, dass das, was er dort sagt, nach außen sickert. Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich habe den Eindruck - aus Gesprächen mit Leuten, die ihm sehr nahe stehen -, dass er einerseits sehr frustriert war in seinem Amt, andererseits auch mit Erschrecken festgestellt hat, dass die Art seines Rücktritt das Amt doch sehr beschädigt hat. Es wird einige Zeit dauern, bis er in der Öffentlichkeit etwas sagt.

domradio.de: "Offen will ich sein, notfalls auch unbequem." So der Titel ihres Buches, das sie über Köhler geschrieben haben: War er das? Offen und unbequem? Und war das der Grund dass er keinen Rückhalt in der Koalition gefunden hat?
Müller-Vogg: Er war offen, er war unbequem, das ist richtig. Er war unbequem für die, die ihn gewählt haben, nämlich für CDU und FDP, als er Schröders Agenda-Politik offen unterstützte. Er war auch unbequem für Schröder. Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er seine Meinung nicht offen gesagt hat. Aber er unterlag einer gewissen Selbsttäuschung, er glaubte, dass ein Präsident der Rückhalt in der Bevölkerung hat, durch die Kraft des Arguments und die Kraft des Wortes die Regierungspolitik sehr stark beeinflussen kann. Aber das war eine Fehleinschätzung.

Müller-Vogg: Im Gegensatz seinen Vorgängern war er kein Politiker - war das sein Verhängnis?
domradio.de: Das war einerseits sein großer Vorteil, das begründete ja auch seine große Popularität in der Bevölkerung. Er war aber nicht vertraut mit den Gegebenheiten des Berliner Politikdschungels. Das war wiederum der Nachteil.

Das Gespräch führte Monika Weiß.