Wirtschaftsethiker kritisiert die Sparpläne der Regierung scharf

"Demokratie gefährdendes Signal"

CDU und FDP haben ihr Sparprogramm vorgestellt. Nach Opposition und Gewerkschaften kritisiert nun auch die Kirche die Pläne, mit denen 80 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Ein "Demokratie gefährdendes Signal" erkennt Wolf Gero Reichert vom katholischen Oswald von Nell-Breuning Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Gegenüber domradio.de macht der Theologe und Volkswirt vor allem die Lobby-Politik der Regierung für die Misere verantwortlich.

 (DR)

domradio.de: Einschnitte bei den Renten für Langzeitarbeitslosen, Streichen des Elterngeldes für Hartz IV Empfänger: Wie sinnvoll sind denn Kürzungen bei den sozial Schwachen, die ohnehin nicht über viel Geld verfügen, überhaupt?
Reichert: Von sinnvollen Kürzungen kann hier nicht gesprochen werden. Wenn diese Sparpläne durchgehen, wird wirklich bei denjenigen gekürzt, die sowieso die schwierigsten Voraussetzungen haben, sich in dieser Gesellschaft beteiligen und entfalten zu können. Aber darüber hinaus - jenseits der einzelnen Beträge - ist vor allem das Signal, das dabei ausgesandt wird, am gefährlichsten: Es ist ein hochgradig Demokratie gefährdendes Signal, was ausgesendet wird. Zum einen sendet die Regierung das Signal aus: Sie reagieren dann, wenn Lobby-Gruppen etwas fordern, wie zum Beispiel die Hoteliers, die jetzt steuerlich besser gestellt wurden, und auf der anderen Seite setzen sie dort den Rotstift an, wo eben diejenigen sitzen, die sich nicht wehren können, die keine Lobby haben.

domradio.de: Sehen Sie, dass sich durch diese einseitige Rotstift-Politik der Bundesregierung die soziale Schieflage in Deutschland verschärft, wie es die Gewerkschaft ver.di befürchtet?
Reichert: Das sehe ich eindeutig. Vor allem, da der Rotstift auch noch beim Elterngeld und bei den Renten angesetzt wird. Man negiert die Risiko-Wahrscheinlichkeiten in unserer Gesellschaft. Weil genau diese Gruppen am meisten gefährdet sind, in Armut abzurutschen. Und es zehrt vor allem den demokratischen Grundkonsens unserer Gesellschaft aus: dass jeder eigentlich gleiche Lebens- und Beteiligungschancen haben sollte. Und diese Reformen werden eher dazu beitragen, dass die Chancen und Möglichkeiten in unserer Gesellschaft noch ungleicher verteilt werden.

domradio.de: Auch Familien sollen bluten: Auch in  der Familienförderung soll gespart werden. Schneidet sich die Bundesregierung damit nicht ins eigene Fleisch - schließlich sind die Familien unsere Zukunft?
Reichert: Man muss genau schauen. Die Kürzung trifft genau die Familien aus der Mittelschicht, die ursprünglich angesprochen werden sollten, damit wieder mehr Kinder in Deutschland geboren werden, damit die Sozialsysteme langfristig davon profitieren, damit Frauen eher die Möglichkeit haben, Beruf und Familien vereinbaren zu können. In dieser Hinsicht wird es auf jeden Fall zu Verschlechterungen führen. Viele Familien werden sich überlegen, ob sie sich in Zukunft für Beruf oder Familien entscheiden.

domradio.de: Wo könnte gerechter gespart werden?
Reichert: Wir haben in dieser Debatte eine große Verzerrung. Wir tun so, als ob wir ein Sparprogramm durchführen müssten, das gleichsam wie eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen ist. Aber man muss daran erinnern: Die Finanzprobleme resultieren aus einer Finanzkrise, die vor allem von den Finanzeliten weltweit und in Deutschland verursacht wurde. Die Ursachen- und die Verantwortungsfrage spielen keine Rolle mehr. Es geht nur noch darum, dass wir alle gemeinsam den Gürtel enger schnallen müssen. Dabei wäre jetzt das richtige und angebrachte Signal, eher bei denjenigen zu sparen, die im Vorfeld dieser Krise extrem profitiert haben. Das sind vor allen Dingen die Vermögensbesitzer und diejenigen, die in der Finanzbranche arbeiten - die bislang nicht zur Verantwortung gezogen wurden.

domradio.de: Warum wehrt sich die Bundesregierung so massiv dagegen auch die Besserverdiener in Deutschland -beispielsweise durch Steuererhöhungen- zu belasten?
Reichert: Eine gute Frage. Es gibt einzelne Stimmen - vor allem auf der christdemokratischen Seite -, die doch durchaus aufgeschlossen sind, zum Beispiel gegenüber dem Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer. Es gibt wohl massiven Druck innerhalb der Koalition, vor allem wahrscheinlich zurückzuführen auf Lobby-Verbände, die das verhindern sollen. Das ist das Demokratie gefährdende an dieser Debatte, dass anscheinend mächtige Interessengruppen ihre Positionen direkt in die Regierung hineintragen können und dass es dort keinen Ausgleich dieser Interessen gibt, sondern sie einfach ungefiltert durchgesetzt werden.

Das Gespräch führte Monika Weiß.